Wer schön sein will, muss lachen.
Heitere Geschichten
Inhalt:
Der gute Harri
Unser Mann im Ring
Die Reise nach Groß-Latsch
Dame mit Hut
Der Fisch ist tot
Der Fisch ist tot (Teil 2)
Der gute Harri
Einen Gerechtigkeitsfimmel hatte Harri schon immer. Früher,
als er noch aufrecht unter dem Küchentisch spazieren konnte,
oder besser: als er noch ein ganz kleiner Harri war, da wußte er
schon, daß er alles Böse dieser Welt bekämpfen würde. Da war
sein Vati, der zeitlebens an epileptischen Anfällen litt und an-
fangs deswegen viel Spott der Leute bezog. Seine kleinwüchsige
Mutter, die nicht mal einen Meter vierzig maß, war nicht viel
besser dran. Wer also sollte die Eltern vor hässlichen Pöbeleien
schützen, wenn nicht der eigene Sohn, Kleinharri?!
Ihr hättet sehen sollen, wie sich der schmächtige Knirps zur
Wehr setzte..! Einmal, beim gemeinsamen Einkauf im Super-
markt, überfiel seinen Papa wieder mal eine dieser Krampf-
attacken. Sein Kopf rollte im Kreis, ebenso das Weiße der Pu-
pillen, sein Leib zitterte heftig und er stürzte zu Boden, wo al-
les nur noch schlimmer wurde.
Eine Verkäuferin versuchte wegzusehen.
Zwei Kunden kicherten und eilten weiter. Und dann kam die-
ser Junge - etwa in Harris' Alter - der das Zucken des kranken
Mannes mächtig lustig fand und laut loslachte.
Bis zu diesem Tag ging es Harri wie anderen Jungen auch...Er
war ein eher friedlicher Durchschnittspimpf, und er glaubte
nicht im Traum daran, daß sich das schlagartig ändern könnte.
Und wie es sich änderte..! Er schlug dem blöd giggelnden Fatz-
ke volle Pulle eins aufs Maul.
Der meldete sich nach kurzer Auszeit zurück, diesmal durch
lautes Geschrei. Außerdem spuckte er zwei Milchzähne aus -
das heißt: Kleinharri hatte ordentlich hingelangt.
Der Schreihals verschwand auf die Schnelle.
Zehn Minuten später kam auch endlich jemand, der seinem
Papa half.
Immer wenn Harri an diesen Tag zurückdenkt, dann kommt
ihm die Welt ziemlich eigenartig vor. Irgendwie hat er sogar
den Verdacht, daß die Leute nebenan ängstlich oder unsicher
wirken und nicht so genau wissen, was sie tun, oder lassen
sollen. Sie rennen und hetzen vorbei: Tag und tschüß - für
mehr ist keine Zeit. Schade eigentlich, denn der neugierige
Harri würde sie nur zu gerne mit Fragen löchern.
Dann muß eben Mama dran glauben - die Ärmste. Na ja, sie
hat ein so großes Herz, daß da genug Platz für Lebensantwor-
ten ist. Harri fragt sich manchmal, warum ein so guter Mensch
wie seine Mutti so bitter arm - und ob das nicht ungerecht ist?
Immer kommen sie gerade so über die Runden. Am Monats-
ende wird das Geld, das Mutter als Putzfrau und Vater als In-
valide kriegen, erstrecht knapp. Dann muß Kleinharri ein-
springen, muß reihum die Omas, Tanten und Onkels abklap-
pern, um Spenden einzusammeln. Geld gibt es allerdings
nicht: nur Naturalien. Brot, Käse, Milch, undsoweiter. Er kann
diesen Stinkerkäse nicht ausstehen und steinhartes Brot auch
nicht. Aber was solls - Hauptsache, man wird halbwegs satt.
Und was den Stinkerkäse angeht, den Onkel Benno in der
Molkerei herstellt, die ihm gehört - Nase zu, Mund auf und
durch! Verhungern ist schlimmer als erstinken. Das nur so
nebenbei. Das Leben ist nun mal kein Zuckerlecken und der
kleine Harri wurde trotzdem groß und stark.
Voller Erstaunen bemerkten seine Eltern, daß der Knabe sich
nicht nur im Körperwuchs änderte, sondern auch auf eine an-
dere Art. Er wurde zunehmend stiller, in sich gekehrt, deswe-
gen aber nicht unsympathischer. Nein, der inzwischen sieb-
zehnjährige Harri vergrub sich lediglich in Büchern. Er las ei-
gentlich jeden Tag, meistens bis spät in die Nacht.
Vater und Mutter erhofften insgeheim eine Erklärung, doch
dafür war die Zeit noch nicht reif. Harri liest - das mußte
einstweilen als Antwort genügen. In seinem kleinen Dachzim-
mer zu schnüffeln, um herauszufinden, was denn so Wichti-
ges in den Büchern steht, das kam den liebevollen Eltern nie
in den Sinn. Lass ihn nur... Der Junge sucht noch nach der
Bestimmung seines Lebens, sagte Mutter eines Abends zu
Vater gewandt, der gerade dabei war, wegzudösen.
Am nächsten Tag kam Harri nicht zur üblichen Zeit nach
Hause. Mutter sorgte sich schon, doch dafür erlebte sie nach-
her eine um so größere Überraschung...
Das Türschloss rasselte. Schritte im Flur. Schnelle Schritte.
Dann stürmte der verspätete Heimkehrer gutgelaunt in die
Wohnstube - und die erste, erstaunte Frage seiner Mutter
lautete: Harri, bist Du das..?
Selbst Vater, der meistens erschöpft oder apathisch im Ses-
sel saß, aber dennoch nie Schwierigkeiten hatte, wenigstens
seinen Sohn zu erkennen, blickte sehr skeptisch drein. Er
brabbelte komisches Zeugs, das sich anhörte wie: selber Jä-
ger, oder ...gelber Neger - womit er garnicht mal so falsch
lag. Aus dem bleichgesichtigen ist nämlich ein gelbbraun
häutiger Harri geworden - nur aufgemalt, natürlich. Die einst
blonden Locken - jetzt rabenschwarz - die sind echt, zumin-
dest farbecht.
Zunächst herrschte wunderliche Stille in der Wohnstube.
Und dann verkündete Harri, während er nacheinander seine
Eltern umarmte: Mutti, Vati, ich hab beschlossen, Indianer
zu werden. Ein Stadtindianer..!
> Insulaner. Soso, < wiederholte sein schwerhöriger Vater
schon deutlich zufriedener. > Ja, mach mal, Junge. <
Sein stolzes, breites Lächeln nahm kein Ende. Mit diesem se-
ligen Lächeln schlief er dann auch wieder ein.
Mutter fand die Idee allerdings nicht so toll. Sie sagte: Hast
du dir das auch gut überlegt, Junge?
Er nickte hocherfreut, weil er in diesem Augenblick sah, daß
auch Mutters skeptischer Gesichtsausdruck einem zaghaften
Lächeln wich.
> Du wolltest doch Tischler werden, < mahnt sie noch schwach.
> Ja, Mutti. Natürlich werde ich Tischler, nach der Lehre in
eineinhalb Jahren. Aber Indianer bin ich jetzt schon! <
Sie bekratzte ihre lichte Kopfhaut und kicherte. Dann zog sie
ihn zu sich, auf die Couch, sah ihn lange an, küsste ihm
schließlich die Wange, was wohl dem Segen einer hoffnungs-
frohen Mutter gleichkam und sprach: > Na gut. Du bist ein
kräftiger Bursche und diese Stadt kann Indianer immer gut ge-
brauchen. Dein Vater und ich werden stolz auf dich sein und
dich immer unterstützen, egal wo und wer du auch bist. Aber,
versprich mir, nur Gutes für die Menschen zu tun! <
Sie nimmt seine Hand in ihre.
> Versprichst Du das deiner Mutter? <
> Hoch und heilig! <
2.
Nur eine Woche danach fuhr Harri mit dem Schiff nach Ame-
rika, um das Leben der Ureinwohner hautnah kennenzulernen.
Das Geld für die Reise kam von einer Bank, die er in voller In-
dianertracht um ein Darlehen bat.
Der Bankdirektor grinste schief, als Harri ihm schwärmend von
seinem großen Traum erzählte.
> Dann kann ich ja gleich dichtmachen, wenn jeder Wilde Geld
von mir will! <
Er nannte Harri tatsächlich einen Wilden. Also zog Harri kurz-
entschlossen sein Tomahawk hervor und lieh sich das Geld so,
wie es ein Wilder tun würde - mit sanfter Gewalt.
Die eine Hälfte der Beute verteilte Harri an Bettler im Stadt-
park, die andere behielt er für sich.
Sein Traum wurde wahr.
Das Schiff überquerte das große Meer und nach vier Tagen
erreichte er Amerika...In der Zwischenzeit wurde Harri ein
leibhaftiger Indianer. Er quälte sein Gesicht mit allerlei Zan-
gen und Klammern, und ehe er von Bord des Schiffes ging,
hatte er eine neue, verlängerte Adlernase. Alles stimmte - das
schwarze Haar, der stolze Gang, die breiten Schultern, der
lange Rumpf und die kurzen Beine. Nur die Augenfarbe, die
bei Indianern meist braun ist, ließ sich nicht kaschieren. Halb
so schlimm - Harri stellte zufrieden fest, daß alle Leute auf
dem Schiff ihn respektvoll ‘Häuptlingssohn’ oder ‘Rothaut’
nannten. Einer - ein dicker Mann aus Lüdenscheid, der ihm
andauernd mit dem Fotoapparat auf die Pelle rückte, meinte
sogar, daß er noch nie in echt so einen Indianer wie Harri ge-
sehen hätte. Nach seinem Namen befragt, entgegnete Harri
ruhig und gelassen: Hatuwei. Er heiße Hatuwei und wär der
jüngste Sproß des Häuptlings Hatunix, vom Stamm der Mas-
kokis.
> Mas...was?, < hakte der Dicke beeindruckt nach.
> Maskokis. Das ist ein freilebendes Volk im Norden Ameri-
kas.<
Harri zählte alle Einzelheiten auf, die er noch aus seinen Bü-
chern wußte.
Der dicke Mann aus Lüdenscheid staunte Löcher in den Indi-
aner Namens Hatuwei.
Nur zwei Dinge kamen dem Dicken im Nachhinein merkwür-
dig vor: warum spricht ein Häuptlingssohn aus dem tiefsten
Amerika astreines Hochdeutsch? Und was, zum Geier, hat
dieser mit Federn, Wildlederumhang und Mokassins ge-
schmückte Spund auf einem Schiff verloren?
Die Fragen ließen sich - zu Harris Glück - nicht mehr eindeu-
tig klären, denn das Schiff legte beizeiten an und seine Gäste
strömten erlebnishungrig ins gelobte Land.
Amerika, wir kommen!
Auch Harri schulterte seinen Rucksack und gelangte nach
zwei weiteren Tagen an sein Ziel - Dakota, das Land, wo die
Indianer zahlenmäßig am stärksten sein sollen.
Doch was sah er?
Lauter besoffene Indianer sah er. Sie gröhlten, pöbelten und
prügelten sich mehr oder weniger bedudelt gegenseitig durch
das eingezäunte Reservat...Er sah auch Männer, die Pfeife
rauchten; nur daß aus diesen Pfeifen kein angenehmer Tabak-
geruch aufstieg, sondern schlicht: süsslich, stinkender Qualm.
Jemand bot ihm Haschisch an - und da wußte Harri, was die
Männer in ihren Pfeifen verbrannten.
Zwar faselten die bekifften Männer davon, durch und durch
Indianer vom Stamm der Irokesen zu sein; und vor Touristen
tanzen würden sie gelegentlich auch. Ansonsten aber blieb of-
fenbar reichlich Zeit, sich zu langweilen. Man raucht, schweigt
und guckt, ob keiner guckt. Wie trostlos!
Auch die Indianerfrauen langweilten sich, deshalb tranken
auch sie viel, vor allem Branntwein. Außerdem pafften sie
fingerdicke Zigarren und stritten sich in einer Tour. Ihre Kin-
der tobten in Turnschuhen und zerfetzten Jeans umher.
Das ganze Reservat wirkte sowas von öde, daß es schmerzte.
Nackte Schotterwüste, so weit das Auge reicht. Kein Baum,
kein Strauch; nur Staub; auch Gras wächst kaum, also gibt es
auch keine Büffel zu jagen, die das Gras fressen.
Die Häuser sind aus Wellblech - manche aus Lehm. Von Wig-
wams keine Spur. Keine weite Prärie - nur Abfall, Hundekac-
ke in allen Ecken, und dazwischen Menschen, deren wirkliche
Freiheit untergegangen, verschwunden ist - restlos.
Vorbei... Er ist zu spät gekommen. Richtige Indianer gibt es
nicht mehr - und wenn doch, dann jagen sie höchstens der
Armee aus Mücken und Fliegen hinterher, oder den kläffen-
den Hunden, oder Kindern, die Blödsinn verzapfen, weil sie
sonst vor Langeweile sterben.
Das da sind nur noch lächerliche Hilfsindianer - arme Teufel,
die das scheinbar bessere Leben weisser Bleichgesichter nach-
äffen.
Harri ist traurig. Nur mühsam kann er glauben, was er sieht.
Er will schon gehen, da findet er doch noch einen alten Greis
in Stammeskleidern. Er ist der klägliche Rest seiner Sippe -
einer, der noch eisern an alten Traditionen festhält. Die ande-
ren belächeln ihn, doch er bleibt, was er ist: ein Sturkopf von
einem echten Indianer.
Harri wird in das große Zelt, das vorher seinem Blick verbor-
gen war, eingeladen. Es ist das einzige Wigwam weit und
breit...Er betritt eine Welt, die völlig anders ist als jene, da
draußen...Gebannt starrt er in den meterhohen Kelch aus
weisser Zelthaut. Wie ein zweiter Himmel, kommt es ihm in
den Sinn. Hell ist es hier drinnen. Die Sonne, die gerade voll-
ends das Reservat durchflutet, wärmt, als käme sie direkt aus
der Erde, unter ihnen. Die Tierfelle, auf denen sie sitzen, wol-
len zu Leben erwachen - was sie auch tun - wenigstens für
die Zeit, da ihre Gedankenkraft ausreicht, Vergangenem auf
die Sprünge zu helfen...Das Sonnenlicht tanzt zwischen ihren
Köpfen hin-und her.
Der Alte lächelt, spricht kein einziges Wort. Sie rauchen Pfeife;
rauchen wohlriechenden Tabak - schweigend. Minutenlang.
Zeit hat hier keinerlei Bedeutung. Nur zögernd beginnt der Alte
damit, aus seinem Leben zu erzählen. Die Worte kommen sehr
langsam aus seinem Mund, als wäre es schmerzlich, von früher
zu reden. Dennoch: seine müden Augen bekommen einen eigen-
artigen Glanz...Die schrumpligen Arme heben und senken sich
würdevoll, als wollten sie jeden Moment davonfliegen.
Fliegen?
Wohin nur...?
Irgendwohin, nur weg von hier, vielleicht ins Land der Urväter,
da, wo er Kind war. Indianderkind.
Eng beieinander sitzen sie - der Alte und der Junge. Der eine
spricht und der andere lauscht. Sie fühlen sich wie die zwei
letzten Indianer auf dieser Erde.
Vielleicht sind sie es auch.
Einige Wochen danach.
Harri ist wieder in Berlin. Im Gefängnis. Er hat sich freiwillig
der Polizei gestellt, weil der weise Alte aus Amerika ihm dazu
geraten hat, in Ruhe über sein begangenes Unrecht nachzu-
denken. Weil er seine Schuld einsieht, muß er nur zwei Jahre
wegen Bankraub im minderschweren Fall abbüßen.
Er trägt es mit Fassung. Nur seine Mutter, die ihn einmal mo-
natlich besucht, weint immer. Harri verspricht ihr voller Über-
zeugung, ab jetzt nur noch Gutes zu tun. Das beruhigt sie et-
was - aber nicht sehr viel.
Ehe sie geht, streicht sie ihm jedesmal über die schwarzen
Locken und sie sagt, daß die Idee, ein Indianer zu werden,
vielleicht doch nicht so gut war.
Harri hingegen erzählt fast ununterbrochen von dem Alten
aus Amerika, schwärmt von dem riesigen Wigwam und von
dem, was der alte Mann fühlte und sprach, während er in sei-
ne Vergangenheit zurückflog.
Meistens merkt Harri erst viel später, daß seine Mutter schon
gegangen ist.
Nur nebenher nimmt er den Gefängnistrott wahr. Er weiß, daß
seine Träume ihn - genau wie den Alten in Dakota - am Leben
erhalten. Ohne sie würde er hier verkümmern - hier und an-
derswo. Nur Träumer sind wirklich frei, findet er.
Manchmal holt ihn dennoch der harte Gefängnisalltag auf den
Boden zurück, undzwar dann, wenn ein Mitgefangener einen
anderen piesackt, nur weil der kleiner und schwächer, also
wehrlos ist, oder weil dem Größeren die Visage des anderen
partout nicht gefällt...Dann holt Harri die Mokassins aus dem
Spind, den ledernen Umhang und die Federhaube. Gelbe Far-
be ist ebenfalls organisierbar. Die schmiert er sich seelenru-
hig ins Gesicht, den langen Rumpf und auf die kurzen Beine.
Um zehn Uhr, wenn das Licht in der Zwölfmannzelle ausgeht,
gräbt Harri das Kriegsbeil aus, schleicht sich an. Und dann auf
ihn, mit heroischem Gebrüll!
Es kracht und schebbert meist kaum länger als eine Minute.
Jemand spuckt zwei Zähne aus, vielleicht auch drei, vier - so
genau sieht man das im Dunkeln nicht.
Ruhe im Schiff - pardon, im Knastgemach.
> Danke, Kumpel, < flüstert eine Stimme.
> Arschloch!, < schnauzt ein anderer - offenbar der Zahnär-
mere.
Harri, der Häuptlingssohn, lächelt.
Er hat Gutes getan.
3.
Wegen vorbildlicher Führung wird Harri viel früher als vorge-
sehen aus dem Gefängnis entlassen.
Sein erster Weg führt ihn nach Hause, zu den sehnsüchtig war-
tenden Eltern. Er bleibt etwa eine Stunde und stapft dann los,
um noch etwas sehr Wichtiges zu erledigen, wie er sagt.
Der zweite Weg führt ihn an die Tore Berlins, wo die’ Prärie-
freunde 1898 e.V.’ ihren Sitz haben. Er meldet sich unverzüg-
lich an. Die Präriefreunde nehmen ihn gern auf, vor allem,
weil er viel von den Indianern in Amerika berichten kann. Er
schummelt ein bisschen - beschreibt die Reservatswüste als
blühende Steppe und die Indianer als rauhe, aber im Grunde
gutmütige Krieger.
Ein Mädchen der 1898er Präriefreunde findet seine bildhaften
Schilderungen so aufregend, daß sie einige Monate später sei-
ne Squaw wird.
Die Zeit floh dahin.
Bald wurde Harri vom Kassenwart zum Stammesältesten ge-
wählt - und schließlich zum Häuptling. Nun war er wirklich
am Ziel seiner Träume. ‘Tanzende Wollgrasflocke’, oder Wati-
wu, die eigentlich: Mona heißt, brachte drei kleine Indianer
zur Welt - zwei Harris und ein ‘Wollgrasflöckchen’ - die na-
türlich gebührend in die Sippe aufgenommen wurden.
So lebten sie glücklich und zufrieden, und der große Manitu...
Halt!...Eine Begebenheit dürfen wir keinesfalls vergessen...
In jenem Jahr, an einem arschkalten, verschneiten Winter-
tag, bat ein uralter, zittriger Greis um Einlass ins Indianer-
Camp, draußen, vor der Stadt. Er war total abgemagert und
man sah deutlich, daß er eine lange Irrfahrt hinter sich hatte.
Der Alte sprach wirr durcheinander. Doch schließlich sah er
einen Freund auf sich zukommen - und sein Herz trommelte
wild.
Auch Harris Wiedersehensfreude war riesig.
Und dann umarmten sie sich lange: der Häuptling der ‘98er
Präriefreunde’ - und ‘Old Men’ aus Dakota, in Amerika.
(c) Ralph Bruse
Unser Mann im Ring
Hab ich euch schon von Hans Boddenknecht erzählt?
Der Nachbar ist sowas wie ´ne Berühmtheit in unserer Stadt.
Warum ausgerechnet der klotzig wirkende Hans Boddenknecht
bekannt wie ein bunter Hund ist, davon will ich nun berichten.
Es war ein schöner Tag im Juni. Ein Samstag. Mareike und Mar-
co wirbelten schon in aller Herrgottsfrühe in der Wohnung herum.
Inge, meine Göttergattin, wühlte schon seit einiger Zeit im Bett
umher und stöhnte schließlich: > Die Kinder rauben mir eines Ta-
ges noch den letzten Nerv! Ralf, nun sprich doch mal ein Macht-
wort! <
Ich tauchte aus der Mulde zwischen Kopfkissen und Nachtschrank
auf, brummelte mir was in den Dreitagebart, und zog die Bettdec-
ke wieder über den Kopf. Noch ein wenig wegdösen, nur noch ein
bisschen...
Inge wurde grantelig. > Ralf, nun sag den Strolchen, daß sie ge-
fälligst leiser sein soll´n. Auf dich hör´n sie ja meist. <
Ja, leider nur meistens...
Geknarre an der Schlafzimmertür. Ein Kopf schiebt sich vor, in
den Spalt - blonder Engelskopf, genauer gesagt.
> Mareike, Kind, was rennt ihr wie wildgewordene Hühner um-
her? Gönnt euren Eltern mal noch ´n büschen Schlaf, ne? <
Mareike trippelt kichernd ins Zimmer. > Papa hat aber verspro-
chen, mit uns heute auf den Jahrmarkt zu gehn. Hat er hoch und
heilig versprochen! Ehrenwort, bei meinen großen Füßen, hat er
gesagt! <
Ich hab natürlich jedes Wort mitgehört. Ich will mich gerade noch
tiefer ins Bettzeug verkriechen, stelle mich auch schlafend - da sitzt
die blonde Nervensäge auch schon auf meiner Bettkante und pult
an meiner Nase herum.
Eigentlich könnte ich losmeckern, aber irgendwie gefällt mir das
versponnene Spiel ihrer Finger. Ich lass mir also die Nase kitzeln,
dann auch noch die Ohren. Erst als Mareike mit ihren Fingern
auf meiner zerzausten Halbglatze spazierengeht, werde ich knur-
rig. Ich breite die Arme aus, ziehe das Engelchen von Kind zu mir
heran, drücke ihr einen dicken Schmatzer auf die Stirn, und brum-
me: > Also gut, du Rennmaus, dein oller Papa ergibt sich seinem
Schicksal <
Ich schwinge die Beine seitwärts und brülle verwegen: > Auf auf,
ihr Kanallien! Mir nach! Zum Jahrmarkt gehts daaaaa lang! <
Nur eine Stunde später wandeln wir dann in einer Menschenmen-
ge, die schiebt, trinkt, Fischbrötchen und Rostwürste futtert, wegen
der überteuerten Fahrpreise motzt, und lediglich den Kindern den
Luxus des Geschüttels auf der Achterbahn angedeihen lässt.
Kreischende Musik fegt über den Platz. Ich muß schreien, um mich
Inge und den Kindern verständlich zu machen.
Andere Väter greifen vorsorglich nach ihren Jüngsten, um sie auf
ihre Schulter zu setzen. Da hocken sie wie Rodeoreiter - breitbeinig
und quietschvergnügt. Dicht dabei - das sieht ulkig aus - beschmiert
ein Knirps gerade Papas Kopf mit der Schokolade seines Negerkus-
ses. Liebespärchen knutschen sich ungeniert vor und nach, und erst-
recht während der Fahrt auf dem Riesenrad, wenn sie nicht gerade
kreischen, wie am Spieß. An den Zapfhähnen einiger Schankbuden
herrscht dichtes Gedrängel. Die Leute haben anscheinend Durst, wie
ausgedörrte Bergziegen, was bei der Bullenhitze ja auch nicht weiter
verwunderlich ist. Losverkäufer preisen ihre tollen 'Riesengewinne'
an. Souvenir-Jäger reißen sich um die bunt eingewickelten Papier-
schnipsel. Vielleicht jeder hundertste Käufer, oder was weiß denn ich,
zieht den Hauptgewinn: einen schlappen Riesenteddy, den man nicht
mal mit ins Bett nehmen kann, weil er sich da nämlich entschieden
zu breit macht.
Es ist wahrlich die Hölle los. Aber schließlich erlebt diese Stadt ja
auch nur zweimal im Jahr solche Amüsierturbulenzen.
Ich blicke zur Seite. Inge sieht jämmerlich aus. Ihr macht der Lärm
ringsum schwer zu schaffen. Ihre Nerven waren ja noch nie die Bes-
ten. Jeder, der sie jetzt in diesem Gedränge anrempelt, kriegt sein
Fett weg. Traumtänzer!, kräht sie. Oder: Blindgänger! Oder im Fall
einer älteren Frau: Nachteule! lm schlimmsten Fall wird Inge sehr
ruppig. Vollpfosten!, giftet sie einen jungen Mann an, der ihr rein zu-
fällig auf die Füße latscht.
Mareike und Marco vergnügten sich eine Zeitlang am Autoscooter.
Und wie das so ist, wenn man gerade in eine leckere Waffel mit Kirsch-
soße beißen will, kommt dann doch wieder was dazwischen. Hans Bod-
denknecht, nebst Gattin, tauchen wie Alarmsirenen aus der Menschen-
traube auf.
> Ja sowas. Hallööööchen!, < flötet Klara Boddenknecht schon aus
drei Meter Entfernung.
> Na sowas! Ihr auch hier?, < stellt sie reichlich überdreht fest.
> Ja, wo denn sonst, < knurre ich so gepresst, daß es zum Glück nie-
mand mithört.
Die Boddenknechts und wir sind Nachbarn. Und Nachbarn schwätzen
eben auch mal über eher belangloses Zeugs: vom Wetter, die Überhand
nehmenden Hundehaufen auf Gehwegen, die Neue im Haus, die vermut-
lich ein heisser Feger ist, weil sie dauernd neue Freunde anschleppt, den
Hausmeister, der nicht mal gerade ´ne Glühbirne eindrehn kann, weil er
immer duhn ist, und und und...Themen, die die Welt nicht braucht, aber
trotzdem unerhört wichtig sind.
Hans Boddenknecht jedenfalls nimmt hin - und wieder auch ganz gern
ein durchsichtiges Schnäpschen zur Brust - und mit diesem Luxus-Las-
ter ist er bei mir öfter gut aufgehoben. Männerschnack bei gutem Tröpf-
chen - das muß manchmal so. Wir treffen uns gelegentlich auch zum
Kartenspiel bei den Boddenknechts, und der klare Schnaps - nun ja -
er wandert dann solange munter hin und her, bis die Pulle leer - und
die Skatbrüder eher voll und gut angeheitert sind.
Inge, mein geduldiges Herzblatt, drückt oftmals alle Augen zu, wenn
ich nach durchzechter Tour de Trance in Höchstlaune die Treppe zum
ersten Stock raufpoltere.
Ab und an gehen Hans Boddenknecht und ich auch schon mal zum An-
geln, an den nahegelegenen Entenweiher. Dort wird natürlich neben
der meist erfolglosen Fischerei ebenfalls ein gutes Tröpfchen verkostet.
Neuerdings haben auch Inge und Klara Boddenknecht eine gesellige
Brücke zueinander schlagen können. Die beiden Frauen sind , wie sich
bald herausstellte, leidenschaftliche Nadelspezialistinnen - also Stricke-
rinnen. Seit einigen Wochen sitzen sie nun bei Wein, oder Kaffee und
Plätzchen und tratschen ausgiebig über Gott, die Welt und die Schlen-
driane von Gatten im Besonderen. Und die Stricknadeln klappern wäh-
renddessen über Stunden fast im Gleichtakt.
Die Boddenknechts sind kinderlos. Naja, Hans, dem Hallodri trau' ich
schon auch so manches Kuckucks-Kind in irgendeiner Weltecke zu, so
wie der öfter ungeniert mit anderer Männer Weiber schäkert. Nun: das
ist sein Bier und ich bin schließlich nicht sein Richter.
Hans zieht mich plötzlich zur Seite; sagt: > Haste schon die Rummel-
boxer gesehn? Da...<
Er weist in Richtung Marktausgang, wo ein paar Oben - ohne -Typen
ihre Bizeps zur Schau stellen.
Wir gehen näher hin. Die Frauen folgen in sicherem Abstand.
> Das hier ist Rocky, der wilde, wilde Stier aus dem Saarland!, <
gröhlt ein sabberndes Kerlchen von zwergenhaftem Wuchs in sein
Mikrofon. > Seht euch den Prachtkerl gut an, Leute! Ein Bulle von ei-
nem Mann ist das!...Hundertundzwanzig Kilo Lebendgewicht, fast
zwei Meter groß, mit jahrelanger Kampferfahrung! Hier, seht euch
seinen Stiernacken an...Gestählte Muskeln, soweit das Auge reicht! <
> Muskeln?...Der ist mindestens so fett wie unser Bäcker, < merkt In-
ge an.
> Wer es schafft, unseren Rocky durch Ko. in einem Boxfight zu be-
zwingen, dem gehören sage und schreibe 2oo Mark. Cash auf die
Hand. Zweihundert Märker, Leute! <
Der Zwerg legt sich mächtig ins Zeug; brüllt sich die kleine Birne rot.
Danach stellt er noch ein paar Rambos, Rockys und Casius Clays vor.
Alles Typen, die ziemlich schmalbrüstig, unbehaart und ohne viel
Pep in die Gegend glotzen, und darauf warten, von jemandem aus der
Menge herausgefordert zu werden.
> Der wilde, wilde Rocky sieht ja noch ganz manierlich aus, < meint
Hans Boddenknecht. Aber die Hilfsindianer neben ihm...Reinste
Fliegenfänger und Spargeltarzans....Die können nix, jede Wette. Lau-
ter Schlappschwänze! <
Ich sehe Hans skeptisch an und erkenne ein dunkles, gieriges Funkeln
in seinen Augen, das immer heller zu werden scheint. Hans Bodden-
knecht - soviel ist mal klar - ist zum Kampf entschlossen. Zweihundert
Mäuse sind ja auch nicht zu verachten.
Es kommt, wie es kommen muß...
> Gib mir den da!, < brüllt Hans rauf, zur Bühne. Er zeigt auf einen
spindeldürren Kerl, dem die luftigen Turnhosen nur so um die Storchen-
beinchen schloddern, der eine riesige Hakennase mitten im Gesicht hat,
und dessen Arme nicht viel dicker sind als Hans Boddenknechts großer
Zeh.
Der Zwerg, der offenbar auch Trainer der Gurkentruppe zu sein scheint,
ist hocherfreut.
> Beste Wahl, guter Mann!, < tönt es über den Platz. > Der Kämpfer ist
extra für diesen Fight aus England eingeflogen worden. Internationaler
Spitzenmann mit sage und schreibe 226 Kämpfen Erfahrung!, < schwört
der Zwerg, diesmal ohne rot zu werden.
> Äh, wie war noch gleich dein Name, Junge?, < fragt er nach hinten,
das spacke Jüngchen anglotzend.
Das schmale Hemd formt ein paar unverständliche Worte und zieht
die eher schmollenden Mundwinkel weit nach unten. Irgendwie wirkt
das dünne Bürschchen abwesend. Hat vielleicht gerade eine Selbstge-
drehte gekifft, überlege ich. Jedenfalls gut für Hans...Zwei oder drei auf
die benebelte Glocke und der Spacko fliegt auf die Bretter...Extra aus
England eingeflogen...Wer´s glaubt...Rausgeflogen ist der garantiert
aus dem Engelland, weil er im Delirium der vorbei gallopierenden
Queen seine Rauchtüte anbot, damit auch sie mal eine durchzieht und
mehr vom Tag hat.
Während ich noch über den unsinnigen Quatsch des Zwergen lache, be-
komme ich leider nicht den Namen des schmalbrüstigen Engländers mit.
Hans hat aber aufgepasst. Er wiederholt den Namen - schwer in Not,
nicht auch laut drüber lachen zu müssen: > Jonny-Granate. Jon-ny Gra-
naaaate....Bewahre! Da rolln sich ja die Fußnägel nach innen auf! <
Schon lacht er laut los. Knallt seine rechte, zur Faust geballte Hand in
die linke, flache.
> Na denn, Jonny, du Granate, lass mal sehn, was da so an Talente in
dir schlummern. <
Hans hangelt sich zur Bühne hoch, und ich muß erstaunt feststellen,
daß mein Nachbar eigentlich noch ganz fit beieinander ist. Für seine
vierzig Jahre gibt er jedenfalls einen passablen Massen-um-die-Ecke-
Bringer ab - wobei zu bedenken ist, daß Killer dieser Spezies ja auch
in der Regel völlig harmlos wirkende Angler, Nachbarn und im Grunde
nette Leute sind.
Hans ist, der Ehrlichkeit halber, nicht sehr viel breiter als sein Gegner
um die Brust herum. Dafür hat er aber viel dickere Muckies, größere
Hände - fast schon Schaufeln - und enorm große Füße. Mindestens Grö-
ße 47. Solche Latschen, samt Inhalt, kippen nicht so schnell um.
Andere Mutige folgen dem Beispiel Hans Boddenknechts und finden
auch schnell einen Gegner, passend nach Kragenweite und Mut. Nur
an den meistgepriesenen Saarland-Rambo traut sich keiner ran. Der
steht dann auch mutterseelenallein da, und ist stinksauer, weil keiner so
dick und so schwer ist, wie er. Es wären schon ein paar füllige Kerle im
weiten Rund, aber die wollen anscheinend dann doch noch ein bisschen
länger ihr Leben bei voller Gesundheit genießen. Geduckten Hauptes zie-
hen alle Recken, ringsum, die Köpfe ein und verschwinden schließlich in
der Menge.
Der Zwerg bittet nun um Eintritt ins dahinterliegende Zelt: die Box-A-
rena. Die Leute rempeln und schieben - und alle sind bald heilfroh, eine
Eintrittskarte ergattert zu haben.
Das Zeltinnere sieht dann doch recht kläglich aus. Ein Haufen aufge-
schütteter Kies, vier alte Ölfässer, die das leicht durchhängende Seil
halten, und ein Ringrichter, der unter der Riesenplane lustlos gähnt.
> Geboxt werden drei Runden!, < verkündet der näselnde Ringrichter
Minuten später schon etwas lebhafter. > Tiefschläge sind verboten,
Kopfschläge erlaubt, Innenhandschläge verboten, gerade Schläge er-
laubt...< Und weiß der Geier, was noch alles erlaubt oder verboten ist.
Die Leute jedenfalls pfeifen den Ringrichter aus. Sie wollen schließ-
lich was für ihr sauer verdientes Geld sehen.
Hans Boddenknecht ist bereit. Er muß als Erster in den Ring.
> Gib Zunder, Hans!, < rufe ich ihm zu - logischerweise in festem Glau-
ben, daß der frisch aus England eingeflogene Jonny Granate die Hucke
in Kürze so richtig voll kriegt.
Der Engländer ist ebenfalls bereit. Ungerührt steht er in seiner Ecke,
rotzt sich nocheinmal vor die Füße, und entgeht doch nicht seinem un-
ausweichlichen Schicksal. Er tut mir wirklich leid.
Hans lässt sich die Boxhandschuhe überstreifen, macht noch ein paar
Dehnübungen und beeindruckende Probeschläge in die Luft, um seinen
Body eindrucksvoll in Schwung zu bringen. Dann verzieht er sich in sei-
ne Ecke.
Der Gong ertönt.
Hans poltert beherzt auf seinen Gegner los, fährt drei - viermal die lan-
gen Arme aus, drischt noch beherzter auf den armen Hänfling von ei-
nem frischeingeflogenen Engländer ein, und lässt dann gütigerweise
wieder von ihm ab.
Jonny Granate glotzt ein wenig schräg und ungläubig aus der Wäsche,
kippt aus seinen Socken und klatscht schnurgerade in den weichen
Sand.
> Jo, das wars denn wohl, Freundchen, < grummelt Hans fast mitlei-
dend und will die Handschuhe gerade wieder ablegen...Da rappelt sich
der beduselte Spacko im Sande doch tatsächlich wieder hoch. Bis sie-
ben zählte der Ringrichter schon. Dann stand der wackere Englisch-
mann wieder auf schlingernden Beinen.
Hans gefiel das natürlich nicht. Er knurrte mürrisch. > Der Spund geht
mir ganz schön auf den Sack...Na schön, wenn er richtich Haue haben
will, denn muß er mich auch nicht drum bitten. <
Er stürmt auf den Jüngling los, um ihm den Rest zu geben. Doch Jonny
Granate hat sich erstaunlich gut von seiner kurzweiligen Schlappe erholt.
Er tänzelt nun sogar fast federleicht seitwärts und im Kreis; weicht Hans´
Luftschlägen ziemlich geschickt aus.
Hans landet selbst in den Seilen, weil er gerade zuviel Anlauf nahm und
mit dem Gleichgewicht bei ihm ist es wohl auch schon länger her. Die
vier Fässer in den Ecken wackeln jedenfalls bedrohlich, stehn dann aber
wieder kerzengerade.
Hans sieht relativ schnell ein, daß sein Übereifer für die Katz war, gibt
sich einen Ruck, und geht entschlossen zur nächsten Attacke über. Er
stellt Jonny Granate in einer Ecke, so daß der ihm nun nicht mehr ent-
wischen kann. Und dann - auaaaa - hagelt es Haue, daß ich mir irgend-
wann die Augen zuhalten muß.
Als ich sie wieder aufreiße, torkelt der spacke Englischmann schon be-
drohlich. Nochmal Glück gehabt: der Gong rettet ihn. Trotzdem: der
Jonny sieht im Gesicht aus wie zermatschte Pizza Margeritha mit zuviel
Tomatensoße. Die Augen sind schon fast zugewachsen und aus der Höc-
kernase läuft Tomatensoße - pardon: Blut, das nur so vor sich hintropft.
Mir tut der Hänfling ernsthaft leid, also ruf ich Hans zu: > Sei nicht zu
hart mit ihm. Noch so ein paar Kracher an seine Rübe und der steht
garnicht mehr auf...<
Hans zuckt die Achseln. > Was kann denn ich dafür, dass er sich nicht
freiwillig hinlegt...Macht er ja nicht, der Doofi. Brauch nur liegen blei-
ben und so tun, als ob...<
Hans grinst beinah teuflisch.
> Zäh ist der Granatenheini ja schon. Muß man ihm wirklich lassen...
Naja, nicht mehr lange, denn isser Fallobst. <
Der Gong zur zweiten Runde ertönt.
Hans ist, wie sich herausstellt, dann doch nicht so ein grausamer Kerl,
wie er tat - und ich gerade noch dachte. Er teilt zwar ein paar böse Le-
berhaken in die Lendengegend seines Gegenübers aus, aber ansonsten
schlägt er nicht mehr so rabiat auf ihn ein, wie in Runde eins. Anschei-
nend haben meine Bittgesuche doch gefruchtet, den Jüngling etwas zu
schonen.
Leider jedoch wußte Jonny Granate diesen edlen Zug von Hans nicht
zu schätzen... Im Gegenteil. Der Spacko wurde immer frecher; versuch-
te nun seinerseits die Visage seines Gegners zu polieren, was auch eini-
ge Male gelang.
Hans war wohl irgendwie sprachlos vor Erstaunen, daß der Strolch sei-
ne Gutmütigkeit derart ausnutzte. Das lähmte ihn zeitweilig sogar in
seinen Aktionen, was Jonny Granate wiederum erstrecht schamlos aus-
nutzte. Eine Faust nach der anderen flog heran und klatschte in Hans´
verdutzt aus der Wäsche glotzendes Gesicht. Sein Gegner tänzelte ihm
immer frecher vor der Nase - um nicht zu sagen: auf der Nase, herum.
Der dreiste Jonny fühlte sich immer sicherer. Er nahm es mit seiner
Deckung auch nicht mehr so genau. Ja, er nahm die Arme zeitweise
sogar ganz herunter, um Hans zum Einschlag zu provozieren. Doch
der glotzte den Engländer einstweilen nur dämlich an, und keiner der
Zuschauer wusste so recht, was da plötzlich klemmte, oder bei ihm
hakte...
Bing.
Runde zwei war vorbei. Hans torkelte, ungläubig vor sich hinfaselnd,
in seine Ecke zurück, und wusste anscheinend nicht mehr, daß es hier
immerhin um zweihundert Märker ging - nicht um sein weichgespül-
tes Herz, oder zuviel Mitleid.
> Ich nehm´ alles von vorhin zurück, Hans...Jetzt genau andersrum:
mit ordentlich Rummms. Nicht den Mörder machen, aber den wilden
Stier kannste ruhig rauslassen!, < stachelte ich ihn an.
Er reagierte garnicht. Seine Augen verdrehten sich, so daß ich befürch-
tete, er würde gleich den Löffel abgeben. Wie Flasche leer hing er mehr
an den Seilen, als daß er da stand.
Also griff ich in die Trickkiste und gröhlte: > Deine Klara flirtet gera-
de heftigst mit dem Kerl neben sich. Kein Wunder, wenn du hier wie
´n schlaffer Fasan vor dich hinbrütest und die gesamte Nachbarschaft
blamierst, Mann! <
Immer noch Schweigen im Walde. Hans taumelte wie ein gerupftes
Hühnchen vor sich hin, das drauf und dran war, jeden Moment von der
Stange zu fallen.
Na gut, dann eben auf die noch härtere Tour, denke ich. Ich trete ihm
kräftig ans Schienbein, und brülle: > Entweder du gibst jetzt Gas, Hans,
oder das war´s mit unsrer Freundschaft. Ende, Aus! Kannst unsere
Männerabende genauso vergessen. Und wenn Du nicht sofort....<
Das zieht offensichtlich. Er glotzt mich noch etwas belämmert an, aber
sein Blick wird klar und klarer - immerhin.
Der Gong läutet die letzte Runde ein.
Hans, die Flasche leer von eben, gibt plötzlich Vollgas, daß mir hören
und sehen vergeht. Sofort poltert er auf Jonny Granate los, kloppt dem
die Augen gänzlich zu, verpasst dem Bürschchen einen Satz heiße Oh-
ren nach dem anderen, hämmert ihm (..autsch) die volle, fast über-
menschliche Kraft seiner Geraden ein paarmal in die Magengegend.
Und dann macht es endlich zum letzten Mal Rumms. Die finale Gra-
nate trifft Jonny mit gleichem Nachnamen rechts an der knallroten
Birne. Der torkelt vor, torkelt zurück, hin und her, hört offenbar Vög-
lein zwitschern, nuschelt irgendwas, das sich wie Sprit, oder Shit an-
hört. Dann kippt er um und wird wohl für eine lange Zeit schmerzge-
plagt schlafen.
Der Ringrichter zählt so langsam bis zehn, als hätte er Gicht zwischen
den Zähnen. Schließlich ist er soweit. > Aus!, < brüllt er, und erklärt
Hans zum Sieger durch Ko.
> Das wars denn wohl, < grummelt Hans und sackt an Ort und auf der
Stelle die Siegprämie ein.
> Bravo, mein Königs-Tiger!!, < kreischt Klara Boddenknecht aus der
Menge.
Wildfremde Leute stürzen sich auf Hans, werfen ihn in die Luft und
zerren ihn schließlich ins Bierzelt, nach nebenan. Ja, und dort wur-
de dementsprechend gefeiert. Das Bier floss in Strömen, Schnaps
nicht viel weniger. Und Hans wusste garnicht, wie ihm geschah und
warum er plötzlich so viele Freunde hatte, die natürlich - auf seine
Rechnung - mitfeierten. Außerdem galt ja nun: nicht dem andern an -
sondern zweihundert Mäuse Siegprämie auf den Kopf zu haun.
Der Abend nahte und die Nacht brach herein, ohne daß wir viel da-
von mitbekamen.
Im Bierzelt saßen schließlich nur noch zwei letzte Mohikaner: Hans
Boddenknecht, der stark besäuselte Sieger des Tages, und ich, sein
schwer beeindruckter Nachbar.
Inge und Klara Boddenknecht waren längst aufgebrochen, weil sie,
wie sie beklagten, unseren verkommenen Anblick nicht länger ertra-
gen konnten.
> Saustark, Herr Boddenknecht!, < krähte Junior Marco noch has-
tig, ehe auch er seiner Schwester und den Ladies heimwärts nach-
rannte.
> Schschschicht im Schacht, < lallte Hans so etwa eine Stunde spä-
ter, ehe er von der Holzbank kippte.
Weil er Tageskönig war, half ich ihm mühsam auf die Beine, schlepp-
te ihn mehr, als daß ich ihn stützte - und dann trudelten wir raus, in
die dunkle Nacht, um irgendwie unser Zuhause wieder zu finden. Das
klappte nicht auf Anhieb - erst am nächsten Tag. In der Fußgängerzo-
ne gabelten zwei Streifenpolizisten die zwei verloren wirkenden Vö-
gel auf und waren so gütig, uns in eine beheizte Arrestzelle zu kut-
schieren, wo wir kostenfrei logieren und unseren Rausch ausschlafen
durften....Bis Inge und Klara uns anderntags gegen Mittag von dort
abholten.
Uns klingelten die Ohren.
Tja, unsere Ladies....Die können ganz schön hitzig werden...Dann
besser: psssst. Nix sagen. Und dackeltreu aus der Wäsche glotzen.
(c) Ralph Bruse
Die Reise nach Groß-Latsch
Eigentlich sollte es ein richtig nettes Wochenende werden....Inge,
Sohnemann Marco und ich hatten vor, wieder einmal Tante Marta
und Onkel Gerd auf ihrem Bauernhof in Groß-Latsch einen Besuch
abzustatten. Töchterchen Mareike ist heute entschuldigt... Klassen-
fahrt durch's schöne Frankenland.
Marco, der dreizehnjährige Oberfratz, kräht schon am Frühstücks-
tisch herum: > Papa, wann fahrn wir denn endlich los?...Ich will doch
auf Onkel Gerds altem Ackergaul reiten! <
> Nun halt mal noch etwas die Füße still, Junge, < antworte ich leicht
mürrisch. > Ist Wochenende, und somit unendlich viel Zeit. Wozu het-
zen, wenn´s auch gemütlich geht...Übrigens ist der lahme Gaul von
Onkel Gerd ist in der Regel flotter, als du es bist, < ziehe ich den halb-
starken Schlaumeier auf.
Inge sieht mich etwas verärgert an. Sie überlässt es ja meistens mir,
mit dem hippeligen Knirps tiefsinnige Streitgespräche zu führen, und
dann kommt sowas dabei raus. Sie meint, ich sei manchmal ein biss-
chen zu streng mit dem Jungen und autoritär sowieso.
Recht hat die Gute - trotzdem: man darf die Zügel nicht zu sehr schlei-
fen lassen, sonst tanzen einem die Grünschnabel eines schönen Tages
auf der Nase herum.
Der Maitag, draußen vor dem Küchenfenster sieht verlockend aus. Der
Himmel prahlt veilchenblau. Die Sonne lacht mich an oder aus - jeden-
falls scheint sie uns wohlgesonnen zu sein. Im Garten kappen hungrige
Vögel im Buschwerk mit ihren Schnäbeln. Einfach verlockend, das Ge-
zwitscher und Wuseln aus allen Ecken und Nischen. Und überhaupt: ich
fühle mich in blendender Laune. Drum helfe ich Inge sogar noch fix
beim Abwasch. Marco flitzt inzwischen mit Rauhhaardackel Hexe zwei
Runden ums Haus. Anschließend stürmt er wieder in die Küche, die jap-
sende Hündin fast wie einen nassen Sack hinter sich herziehend.
> Papa, die Hexe mußte nur pinkeln. <
> Kein Haufen?, < frage ich. Schon entwischt ein blitzsauberes Glas
meiner linken, wienernden Hand und klirrt zu Boden.
Marco schüttelt sein dunkelblondes Wuschelhaupt.
> Und was, wenn der Hund mitten auf der Hauptstraße das große Kac-
ken kriegt?, < grummel ich schon schlecht gelaunter.
> Dann halten wir eben kurz an, und lassen das arme Tier sein Geschäft
verrichten, < beruhigt Inge.
Der dicke Bonsai ist die reinste Urlaubsbremse, denke ich noch etwas
schlechter gelaunt. Ich konnte den Giftzahn von Hund eh nie so wirklich
gern haben - aber das beruhte auch auf Gegenseitigkeit. Irgendwie spür-
te der kurzbeinige Kläffer natürlich meine Ablehnung, und so war es
nicht verwunderlich, daß er mir bei jeder passenden Gelegenheit die
neueste Hose zerfetzte. Und ich war so frei, ihm dafür den abendlichen
Ausgang zu verweigern, was sich leider rächte, weil der ebenso sture
Mops unseren Wohnstubenteppich - einen echt teuren Perser - rachelus-
tig unregelmäßig vollschiss.
Mit dem Stubenflitzer haben uns die Boddenknechts von nebenan ein
ganz faules Ei untergejubelt, damals, als ihr Kläffer Junge bekam. Hans
Boddenknecht, der Schönschwätzer, meinte, ein Bauernhof wie der von
Tante Marta und Onkel Gerd, wär genau das richtige für den Junghund.
> Da kann er Hühner jagen, Enten erschrecken und ausgelassen im Stall
sulen, < meinte er. Und dann drückte er Inge das kleine Etwas in die
Hände. Inge sah den Welpen an, fing verlegen an, zu stottern und kurz
drauf bestimmte sie überrumpelnd: > Den süüüüüßen Fratz behalten wir! <
Ich knurrte ein dämliches: > Von mir aus. < Und mir wurde wieder mal
klar, daß ich in diesem Haus zum Hilfsindianer geworden war.
> Der Hund will nicht kacken. Na, das kann ja heiter werden, < grum-
mele ich abermals verstimmt.
Ich schlendere rüber, zur Garage, öffne das quietschende Klapptor, und
versuche, den bockenden Trabi zu starten. Es glückt. Der Wagen springt
entgegen seiner sonstigen Mucken an. > Du mußt die Karre mal anstän-
dig durchtreten, Papa, < meinte Marco neulich mal besserwisserisch.
> Wenn du die Pappkiste immer nur Sonntags spazierenfährst, mußte
dich nicht wundern, wenn sie zum Tuckern zu faul wird . <
> Spielst dich ja auf, wie 'n Oberlehrer, du Grünschnabel, < gab ich zu-
rück. > Das gute Stück wird nicht getreten, oder wie du das nennst, und
schon garnicht Samstagmorgen...Bis jetzt hat uns das treue Gefährt ja
wohl noch immer dahin gebracht, wo wir hinwollten, oder? <
> Ja, wie 'ne Blindschleiche zwar, aber Geschwindigkeitsunterschreitung
wird ja nicht bestraft, < feixte der Bengel.
> Ich fahr stramm meine achtzig, das langt völlig...So, und jetz' nerv dei-
nen umsichtigen Paps nicht länger. <
Ich öffne die Wagentür, und Marco springt in die Rücksitze. Er drückt
den fetten Hund fest an sich, und meint: > Papa, irgendwie scheinste
heut' 'nen schlechten Tag zu haben...<
> Nee, wieso denn?, < erwidere ich. > Alles prächtig. Ich hab' jeden-
falls keine Stuhlprobleme, wie die verfressene Töle. <
> Paps, hör endlich auf zu motzen, < flaumt mich der Bengel an. Ehe
ich ihm die passende Antwort hinpfeffern kann, komme ich zur Ein-
sicht, daß der Bengel ja irgendwie Recht hat. Ist doch ein schöner Tag.
Also: abregen.
Inge kommt aus dem Haus gewackelt. Sie verschließt ordentlich sämt-
liche Türen, und überprüft im Gehen die Vollständigkeit der Schminku-
tensilien in ihrer Schiffchentasche. Dann steigt sie zu mir nach vorn ins
Auto.
> Alles klar, Leute?, < krähe ich übermütig. Und gleich hinterher:
> Dann auf ihn mit Gebrüll! <
Da ist er wieder, der mahnende Blick in Inges´ Augen.
> Na gut, denn eben ohne Gebrüll, < schmolle ich ein wenig geknickt.
Wir fahren.
Die Straßen unserer Stadt sind um diese Zeit noch fast leer. Ampeln
stehen auch noch allesamt auf grün - freie Fahrt. Zügig lassen wir die
Stadt hinter uns zurück.
Groß-Latsch - wir kommen!
Bald...
Kaum eine Viertelstunde ist vergangen, da tippt mir Marco auf die
Schulter. > Papa, Hexe muß mal kacken...Sie furzt schon dauernd. <
Aha - deshalb roch es schon die ganze Zeit über so penetrant...Ich
hatte schon ernsthaft einen Motorkoller des Trabis befürchtet. Zum
Glück muß nur der hin und herfurzende Dackel kacken. Halb so
wild.
Ich halte am Fahrbahnrand. Junior scheucht den Hund aus dem Wa-
gen, schleppt den Faulpelz dann einige Meter weit in dichteres Ge-
büsch und bleibt wie sein Leibwächter stramm vor dem Busch stehn,
in dem es raschelt und knackt - klares Zeichen dafür, daß der Hund
sein Geschäft erledigt.
Na, endlich...Der Hund kriecht aus dem Buschwerk hervor. Junior
untersucht eingehend seine Arschgegend und strahlt über´s ganze
Gesicht. > Er hat gekackt! <
Der Bengel muß verrückt sein, denke ich. Macht aus der Kackerei
eines Hundes sowas wie ´ne wundersame Niederkunft.
Nach einigen Minuten allgemeiner Heiterkeit - mich eher ausge-
nommen - fahren wir dann wieder.
Inge steckt sich eine von diesen überlangen, braungefilterten Zi-
garetten an. Sie raucht viel, wenn sie ihr trautes Heim vermisst, was
anscheinend schon jetzt der Fall ist. Ich zünde mir ebenfalls eine
Zigarre an. Der Rauch schlängelt sich vor meiner Nase herum.
Marco kriegt das große Husten. Der Hund schnauft ein paarmal.
Scheiben runterkurbeln, damit niemand geräuchert in Groß-Latsch
ankommt.
Inge schaltet das schnarrende Radio ein.
Ich lehne mich entspannt zurück. Welch herrlicher Tag! Sanfte Mor-
genmusik lullt uns ein. Nachrichten. Das Wetter... schön, wie schon
lange nicht mehr. Dann der Straßenzustandsbericht...schlecht wie
schon lange nicht mehr...
Ja, wo denn? Hier auf der Landstraße ist doch alles frei.
Aber die Autobahn...Schon rappelvoll mit Ausflügler und Urlauber,
wie es aussieht. Und dahin sind wir unterwegs: Richtung Autobahn.
Umgehungen oder Schleichwege gibt es keine.
> Mist, elender, < knurre ich.
Nützt ja rein nichts, mein Knurren. Es vergehn keine zehn Minuten,
schon stecken wir mittendrin, in der Blechschlange.
Nur ruhig Blut.
Autos bremsen scharf, heulen auf, schalten Warnlicht ein und dann
gehts im Schritttempo weiter. Ich drehe den Lüfter voll auf, doch
mein blütenweißes Hemd klebt schon klatschnass auf der Haut.
Inge gähnt. Marco stöhnt, und der Hund Namens Hexe hält seinen
vorwitzigen Spitzkopf aus dem Seitenfenster, um sich den flauen
Fahrwind um die schlappen Horchlöffel pusten zu lassen.
Immer mehr Autos rasen heran. Alle Fahrer warnen ihre Hinterleu-
te, mit Blinklicht, wie gesagt. Nur ich nicht. Hab ich doch glatt im
Eifer des Ärgers vergessen.
Das rächt sich dann auch prompt. Es knallt und schebbert tüchtig.
Ein kräftiger Stoß von hinten. Dann ist Stille.
Wir haben überlebt.
Ich steige wütend aus, um dem Hintermann gehörig den Marsch zu
blasen. Aber dazu komme ich garnicht. Ehe ich nur A... sagen kann,
wettert mein Gegenüber, ein ziemlich abgerissener Kerl mit specki-
ger Löwenmähne, auch schon los: > Mensch Alter, haste deine Flep-
pen auf'm Jahrmarkt gewonnen? Schon mal was von Warnlicht ge-
hört?! <
Ich leugne natürlich jede Schuld - und außerdem werde ich gleich
selbst leibhaftig zum Warnlicht.
Ich schnaube ein paarmal, hole tief Luft, recke die spacke Brust so
eindrucksvoll, wie es nur geht und erwidere ziemlich trocken: > Wer
hier was vergessen hat, das werden wir mal schön von der Polizei
klären lassen. <
Mein Gegenüber sieht uneinsichtig aus, doch ich denke, wenn er erst-
mal Polente hört, kriegt er schon das große Flattern, weil er bestimmt
eine Menge Dreck am Stecken hat, der Gammler.
Von wegen...Der Hippie macht einen Schritt auf mich zu, grinst mich
herausfordernd an, und rülpst beinah mit grabestiefer Stimme: > Mach
hier nicht den Affen, Opa, sonst gibts was auf die Fresse. <
Das mit dem Affen stecke ich locker weg, auch die angedrohten Schlä-
ge, aber...den Opa nimmt der Gammler zurück, wenn ihm sein Leben
lieb ist!
Okay - mit fünfzig ist man zwar eindeutig kein junger Hecht mehr und
die Oberglatze lichtet sich auch zusehends. Aber ein tatteriger Opa bin
ich deswegen noch lange nicht!
Ich weise ihn scheinbar kühl auf diese Tatsache hin und fordere ihn ei-
ne Spur energischer auf, den Opa gefälligst zurückzunehmen.
> Auf der Stelle, und ein bisschen dalli! Und wenn nicht...< drohe ich
ihm...> Dann sehe ich mich konsequenter Weise gezwungen...<
Weiter komme ich nicht. Die Faust des Langhaarigen fliegt mir mitten
ins Gesicht.
Volltreffer. Der Kerl hat meine Nase blutig geschlagen.
> Na, denn eben nicht, < zische ich rotz - und blutspuckend, springe
ins Auto zurück, verrammele Türen und Fenster, und denke mir: da
haste irgendwie noch Schwein gehabt. Hätte schlimmer kommen kön-
nen.
Ich versichere mich nochmal, daß auch sämtliche Schotten dicht sind -
und dann drohe ich dem Arschgesicht mit der schüttelnden Faust. Er
will die Tür aufreißen, aber die ist ja fest verriegelt. Das, wiederum,
freut mich ungemein.
Was mich weniger freut, ist, daß der Kerl mir tobend eine riesige Beu-
le in die verschlossene Fahrertür tritt. > Verpiss dich ganz schnell,
sonst mach ich dich zu Hackepeter, Opa! < brüllt der Typ ohrenbetäu-
bend.
Nur widerwillig steigt er schließlich ins eigene Auto.
Inge kramt ein Taschentuch aus ihrer Schiffchentasche hervor, und
grinst ziemlich belustigt. Ich schau in den Rückspiegel - und was seh
ich: auch unser Herr Sohn muß sich anstrengen, um nicht laut loszu-
lachen.
Ich blitze ihn wütend an. Auch Inge. Aber sie blitzt nun ebenso scharf,
oder tut nur so.
> Putz dir die Nase und komm wieder runter. <
Ich schniefe ein paarmal ins dargebotene Taschentuch, und als ich wie-
der aufsehe, grinsen die beiden mich wieder belustigt an.
> Na toll, < knurre ich. > War halt ein Fall von glasklarer Notwehr. <
> Ja, mein Held, < nickt Inge und tätschelt mir die schweissnassen
Schläfen. > Hast ja recht, mein Guter. <
Locker bleiben, sinniere ich. Bleib einfach ruhig - irgendwie. Der Hip-
pie kriegt seine gerechte Strafe, und du bist sauber raus, weil du recht
hast.
Polizeisirenen ertönen.
Eine Gasse wird gebildet. Der Unfall wird aufgenommen. Nichts Welt-
bewegendes. Nur die paar Kratzer und eine Beule in der Tür. Sonst
nichts. Doch, da war noch was...Ich verweise auf meine lädierte Nase
und beteuere - schon aus Sicht des Beschädigten - meine völlige Un-
schuld am Auffahrunfall - und überhaupt.
Der Hippie behauptet was völlig anderes - nämlich das Gegenteil. Und
das mit der Nase ist angeblich frei erfunden. Die Polypen hören garnicht
richtig hin. Auch nicht, als Inge gerade ansetzen will, meine Aussage
zu bestätigen. > Wir sind die Autobahn-Polizei, < mault der eine Unifor-
mierte. > Ungeklärte, körperliche Bagatellen können sie auf dem näch-
sten Revier zur Anzeige bringen.
Bagatellen??...Halloooo?!
Anscheinend glauben sie mir genauso viel, wie dem Hippie: garnicht.
Sie nehmen lediglich genervt den Blech - nicht aber meinen Nasenscha-
den auf, und verduften grußlos wieder.
> Scheißbullerei!, < gifte ich betrübt.
> Sackgesicht!, < muß sich der Langhaarige noch gefallen lassen. Der
springt auf mich los, aber ich kann ihm entwischen. Rein ins Auto und
alle Luken dicht. Zunge weit raus. > Bääähh..! <
Der Typ knallt eine Faust ans Plexiglas, zeigt mir dann den ausgestreck-
ten Mittelfinger und schwirrt endlich ab, in Richtung eigenes Auto.
Der Stau löst sich allmählich auf. Etwa zehn Minuten später endlich wie-
der freie Fahrt. Und Zeit für eine Schadenbestandsaufnahme. Eine ge-
schwollene Nase, zwei platte Rücklichter, eine Türbeule, eingedrückter
Kofferraum - aber nur etwas - und ein abgestürztes Nummernschild, das
Sohnemann Marco wie einen Skalp hochhält und wieder ablegt, damit
der Hund, daneben, Buchstaben und Zahlen, darauf, ordentlich mit wild
scharrenden Pfoten bis zur Unkenntlichkeit zerkratzen kann.
Trotz aller Ingnoranz (Nasenschaden) waren die Polypen dann doch nach-
sichtig. Wir durften unsere Fahrt fortsetzen, mit dem Versprechen, alle
Schäden am Trabi schnellstmöglich zu beheben.
Von mir aus: versprechen kann man viel...
Tante Marta, Onkel Gerd, wir kommen!
Wir biegen bald von der Hauptstraße ab; wechseln über, auf holprige
Landstraßen.
Groß-Latsch zehn Kilometer, steht auf einem Schild.
Ich trete das Gaspedal durch. Der lädierte Trabi muß jetzt ran und ganz
schön schwer schuften.
Die Sonne steigt höher und treibt mir wahre Schweissbäche aus allen Haut-
ritzen. Auch muß ich mir andauernd salzig Klebriges aus den brennenden
Augen wischen.
Ich blicke zur Seite. Inge ist weggedöst. Sie schnarcht etwas zu laut, aber
gerade noch so, daß ich zur Ruhe komme und mich in Tagträumereien ver-
liere - was man beim Lenken eines Autos besser lassen sollte...
Manchmal ist das Leben wirklich grausam - geradezu unheimlich, wenn
ein Malheur dem nächsten folgt...Ich malte mir gerade noch so schön aus,
wie herrlich die Stille bei Inges´ Schwester sein würde. Stundenlange
Spaziergänge, säuselnde, flache Weite, rauschende Wälder, stille Seen -
nur Frieden und Ruhe, soweit jeder Blick reicht...Gedankenverloren
schloß ich die Augen - nur für Sekundenbruchteile...Auf dem Lande lebt
es sich eben doch besser. Die Zeit trödelt irgendwie ein bisschen langsa-
mer vor sich hin. Sogar die Kühe auf den Wiesen sehn bunter und glückli-
cher aus, als ihre Artgenossen in der wuselnden Stadt. Und die Leute erst:
hier ein Schwätzchen, da ´ne Gefälligkeit, die sich auszahlt und zurück
kommt. Abends dann in der guten Bauernstube...Klönschnack bei Schnäps-
chen oder Wein. Muttern brutzelt Bratkartoffeln, dazu Sülze. Noch ein
Schnäpschen. Und noch eins....
Irgendwas fliegt vorne hart gegen den Wagen.
Ich schrecke hoch. Inge ebenso. Sie guckt mich völlig entgeistert an.
Mein Blick klart auf und tastet sich ungläubig vor, in Richtung Wind-
schutzscheibe. Da liegt ein toter Hase.
Hallelujah. Auch das noch! Das gibt Ärger...
Inge weint dicke Tränen. Marco heult noch dickere Tränen. Sogar der
blöde Hund stimmt in das allgemeine Geheule ein. Mehr noch, der Dac-
kel fletscht ziemlich böse die Zähne, als würde ein reißender Wolf in
dem bisschen Tier erwachen.
Benommen steige ich aus. Ich fühle mich schon schuldig am Tod des Ha-
sen. Aber je länger die Heulereien der Mitinsassen andauern, desto mehr
ertappe ich mich bei den Gedanken, daß mir die ganze unglückliche An-
gelegenheit, plus stiller Vorwurf, doch ziemlich auf den Zeiger geht.
Wie ich den verhexten Tag hasse, den Dackel gleichen Namens hasse ich,
alle Hippies, Autobahnen, Nebenstraßen, Verkehr im Allgemeinen, beson-
ders den an Sonntagen!
Was noch?
Mich selbst ziemlich viel.
Ich zittere wie Espenlaub.
Mit bloßen Händen verbuddele ich den verendeten Hasen schließlich un-
ter Laub und modrigem Gestrüpp. Ich zeige echte Reue und verharre vie-
le Schweigeminuten lang am provisorischen Grab des Hoppelhasen, der
nicht mehr hoppeln kann.
Trotz unterdrückter Unruhe werde ich immer zappeliger. Gleich gibt es
einen Knall..!
Bleib ruhig, schärfe ich mir ein. Du zitterst zwar brutalst, aber das hat
nur zu bedeuten, daß du den Tod des Langohrhasen zutiefst bedauerst.
Du mußt dich wieder in die Spur bringen, was du ja ansonsten auch mit
mehr oder weniger Leichtigkeit hinbekommst. Zeig Haltung, und du
stehst würdig vor den Deinen da...
Und wie ich dastehe: wie ein Knallfrosch, blöd aus der Wäsche glot-
zend.
Inge steigt aus, drückt Marco fest an sich, und blitzt mich vorwurfs-
voll an. Der Bengel heult immer noch, und seine Mutti hat sichtlich
Mühe, ihn wieder zu beruhigen.
> Los, fahren wir weiter, Ralf, < bestimmt Inge forsch. > Ich kann
den Anblick nicht länger ertragen. <
Etwa meinen Anblick?
Sie deutet auf den kleinen Grabhügel. Wir steigen wieder in den ram-
ponierten Trabi und fahren weiter.
Lange herrscht eisiges Schweigen, das sich nur mühsam bessert.
> Tut mir leid, Liebes, < beteuere ich wer weiß wie oft. > Hab den
Hoppler einfach nicht rechtzeitig sehn können. <
Was ja auch stimmt, weil ich gerade so schön tagträumte. Ein klarer
Fall von unschuldiger Notlüge, also.
Inge erholt sich allmählich von ihrem Schock. Sie glaubt mir offen-
bar kein Wort, versucht aber trotzdem ein tapferes Lächeln.
Groß-Latsch: zwei Kilometer.
Na endlich. Alles kommt wieder ins Lot...Dachte ich.
> Daaaaa, der Trec...!, < schreit Inge urplötzlich.
Ich schau verdaddert zur Seite - und sie an.
> Was, Liebes?...Jaja, ein Trec...<
Da ist es schon zu spät.
Der Traktor kreuzt wie aus dem Nichts kommend die Fahrbahn.
Ich kann gerade noch irgendwie reagieren, reiße das Lenkrad zur
Seite - schreie: > Daaaaas wird eng...! Alles in Deckung! Runter
mit den Köpfen! <
Der Aufprall ist nicht so hart, wie ich befürchtete. Wir landen fast
sanft im grasbewachsenen Straßengraben. Schlittern praktisch hi-
nein.
Mucksmäuschen-Stille.
Kleinlaut frage ich in die Runde: ist hier noch jemand am Leben?
Inge meldet sich stöhnend. Sie hat keinen einzigen Kratzer abbe-
kommen. Der Filter ihrer runtergerauchten Zigarette steckt ihr quer
im Mund. Er qualmt noch. Sie spuckt ihn aus. Die letzte Glut brennt
ihr ein Loch in´s schöne Sonntagskleid. Sie stößt Flüche aus.
Dem Jungen ist ebenfalls nichts passiert. Der Hund, der vorher in sei-
nem Schoß lag, liegt jetzt auf der Hutablage. Der Himmelhund kann
wahrlich fliegen - und zäh ist er auch noch.
Ich spähe den Graben lang. Der Trecker liegt umgestürzt da, keine
fünf Meter weg. Dem Fahrer ist anscheinend auch nichts passiert. Er
taucht gerade aus dem hohen Gras auf. In seinem Gesicht klebt reich-
lich Kuhkacke. Wenn nicht alles zu ernst wär, würde ich jetzt laut los-
lachen, so komisch sieht der Kerl aus, wie er da halbblind durch den
Graben stiefelt.
Marco heult schon wieder, oder immer noch und jammert: > Ich will
wieder nach Haus', Mutti! <
Inge richtet sich bedrohlich auf, und beginnt, wie ein Rohrspatz zu
schimpfen. > Kannst du denn nicht aufpassen?! Mit der Kurverei
bringst du uns noch vorzeitig unter die Erde! <
Der blöde Dackel kläfft auch noch fürchterlich.
Da platzt mir der Kragen.
> Verdammt, seid ihr denn alle plemplem geworden?! Was kann ich
dafür, wenn der Trottel von Treckerfahrer nicht aufpasst! Der kreuzt
hier die Straße und zeigt es keiner Sau an! <
Ich laufe zur Höchstform auf.
> Euer ewiges Geflenne hängt mir reichlich zum Hals raus, - jawoll,
weit zum Hals hängt's mir raus! <
Wutschnaubend zerre ich die Wagentür auf, stürze ins Freie, und lan-
de - auch das noch - mit dem Kopf voran in einem Haufen Kuhmist.
> Scheiße!, < fluche ich wahrheitsgemäß und überdreht. > Zu allem
Übel riech ich jetzt wie ´ne Kuh aus dem Ar...! <
Dann passiert Folgendes...Nichts. Inge steht schon neben dem abge-
würgten Trabi und grinst auf einmal. Und wie sie grinst...Sohnemann
heult auch nicht mehr, und findet mich wohl reichlich komisch ausse-
hend. Jedenfalls nistet ein mächtig hinterhältiges Lächeln in seinen
Mundwinkeln. Der Hund hingegen beschnuppert mich verächtlich,
als wär seine Duftmarke um einiges erträglicher - und überhaupt ist
die verflixte Situation auf einmal sehr lustig - nur nicht für mich.
Noch nicht.
In meinen Mundwinkeln zuckt es schließlich auch unaufhörlich.
Das muß der Anfang vom Ende heutiger Pleiten sein, dachte ich vol-
ler Hoffen.
> Wenn ihr immer so rabiat in Groß-Latsch einfallt, sagt nächstes Mal
wenigstens vorher Bescheid. Wir hängen dann Fangzäune für euch
auf, < meldet sich eine Stimme. > Na, denn kommt mal rauf, ihr Tief-
flieger. <
Kenne ich doch: die Stimme des Treckerfahrers...
Ich reibe mir Kuhkacke und Schweiss von den Augen; blicke den Gra-
ben lang.
> Gerd...? Da bin ich aber platt. Mensch, alter Knabe. Und auch mit
Trecker und ordentlich Dampf unterwegs...Kleiner Scherz. <
> Nur gut, daß ich die Marta nicht mit an Bord hatte. Sonst würde sie
hier vielleicht auch lingelang im Graben liegen und Erbsen von unten
zählen, < flappst Gerd.
> Ist wirklich nicht mein Tag, < seufze ich.
> Ist er wohl nie, < witzelt Gerd.
Wir schütteln einander die Hände und trudeln nach hundert Metern
Fußmarsch endlich in Groß-Latsch ein.
Abends, in Martas und Gerds guter Stube: wildes Gekläffe.
Die Gastgeber haben sich zwischenzeitlich einen Hund zugelegt. Aus-
gerechnet einen Dackel. Und der scharwenzelt auch noch spätabends
um mich herum. Ausgerechnet bei mir muß sich der aufdringliche Hund
in einer Tour seine Streicheleinheiten abholen. Merkt der denn nicht, daß
ich Hunde - und Dackel im Speziellen - nicht leiden kann?
Nicht die Spur merkt der. Während unser Hausdackel Namens Hexe wie-
der mal an meinem Hosensaum rumfetzt, springt Dackel zwei mir eins
ums andere Mal in den Schoß und leckt mir gründlich die Schnute ab.
Glotzt mich währenddem treudoof an. Und je länger der so dackeltreu
glotzt, desto weicher kocht mich der Bonsai-Köter.
Am nächsten Tag, zur Abreise, drückt mir Gerd Hund Nummer zwei in
die Hände. > Der hat dich lieb. Nimm ihn mit. Er heißt übrigens Roobert.
Mit zwei O. <
> Mit zwei O? <
> Ja, Roooobert.
> Ach so. Das ist aber ein O mehr, als nur zwei. <
> Ach...<
Er winkt ab. Grinst schief.
> Hier...<
Ich will das großzügige Geschenk gerade dankend ablehnen. Da mischt
sich Inge ein.
> Keine Widerrede. < Sie schnappt nach Roooobert und flötet: > Der
süße Fratz wird sich bei uns garantiert wohlfühlen! <
Sie lächelt mich süss und herzzerreißend an.
Ich hab hier garantiert auch nichts mehr zu melden, geht es mir durch
alle klaren Sinne. Ich lächle zurück - ganz tapfer; nicke brav und sage:
nichts.
(c) Ralph Bruse
Dame mit Hut
Jasmin rückt ihren Hut zurecht.
Ein Blick zur Uhr.
> Höchste Eisenbahn! <
Die Tür schwingt ins Schloß. Der Fahrstuhl. Wieder mal be-
setzt. Ein paar Minuten vergehen.
Das üppige Arrangement auf Jasmins Hut wiegt schwer. Der
Hut kippt etwas zur Seite. Ihre reichlich mit Klunker bestück-
ten Hände bringen alles wieder in Ordnung.
Sie hört den Fahrstuhl kommen. Wie ein schnaufender Ochse,
geht es ihr durch den Sinn. Sie kräuselt die Unterlippe.
> Ich mag den Klapperkasten nicht. Aber er ist mir nützlich. <
Ihre schmalen Hüften schaukeln hin - und her. Die Füße trip-
peln auf der Stelle. Jetzt öffnet sich der Klapperkasten... von
wegen. Der rauscht an der alten Dame vorbei, als wolle er sie
wieder mal zum Narren halten. Abwärts. Pause. Geklapper.
Dann endlich der achte Stock. Jasmin lächelt säuerlich. > Na
also.. < Sie setzt einen Fuß vor, doch das Mistding zockelt
weiter, rauf bis ins 13te Stockwerk. Kurze Pause, und weiter
gehts, abwärts. 11,1o, 9, 8. Endlich stockt der verdammte
Kasten. Das übliche Scharren, beim Aufziehen der Tür.
Das knutschende Punkerpärchen im Fahrstuhl nimmt den
‘Neuzugang’ zunächst garnicht wahr.
Jasmin räuspert sich. > Dürfte ich mal, junger Mann..? <
Wie - Du auch, Oma?, flappst der Flegel, räumt seine Geni-
taliengegend auf, grinst unverschämt, stellt seine Glubschau-
gen auf Geradeaus und latscht mürrisch einen Schritt zur Sei-
te. Nur einen Schritt, damit Jasmin gerade so an die Null he-
rankommt, den Knopf fürs Parterre.
Abwärts.
Die Punkerbraut zieht etwas Lebendes aus der schloddernden
Hose. Eine weisse Ratte.
> Süß, ne? <
Sie hält ihr das wild rumschnuppernde Viech direkt vor die
Nase. Jasmin lächelt tapfer.
> Ja, niedlich.<
Sie bemerkt den Argwohn der Rattenbesitzerin, also fügt sie
schnell hinzu: wie heißt der stramme Bursche denn?
> Er ist eine Sie. Und sie heißt Lollobrigida. Gina Lollobrigida. <
Jasmin muß sich anstrengen, nicht laut loszulachen.
> Ein merkwürdiger Name für eine...<
Sie schüttelt sich und schwindelt: Gina Lollobrigida... entzüc-
kend! Wirklich ein hübsches Mädchen, das Fräulein Gina. Und
so wohlerzogen..!
Hast es erfasst, Oma, stimmt die Punkergöre zu. Ihr stechender
Blick bleibt an Jasmins Hut hängen.
> Gehste auf’n Wochenmarkt, oder warum schleppste das gan-
ze Grünzeug durch die Gegend? <
Ihr wieherndes Kichern wirkt nicht gerade respektvoll. Jasmin
sehnt das schnelle Ende dieser Fahrt herbei.
Dann ist es soweit.
Sie strafft sich, wünscht einen guten Tag und stolziert raus,
auf die Straße. Währenddessen kurven die zwei Punks noch
ein bisschen durchs Haus - immer rauf und runter, weil’s irre
Spaß macht, im Fahrstuhl zu knutschen.
Jasmin hingegen schwört, laut mit sich selbst redend, nie wie-
der mit dem Mistding von einem Fahrstuhl zu fahren.
> Lieber huste ich mir die Lunge aus dem Leib und krabbel’
auf allen Vieren die Treppe rauf!<
Hallo, Madame Noel!, grüßt ein Nachbar von Gegenüber.
Jasmin zuckt zusammen.
Jaja, Tag auch, stottert sie und hastet weiter.
An der nächsten Straßenecke knickt ihr der linke Fuß um. Sie
stöhnt auf vor Schmerz und humpelt weiter.
Ein junger Kerl, der seinen Hund Kacken führt, rempelt sie
an. Ehe er eine kurze Entschuldigung stammeln kann, tritt
Jasmin in den Haufen eines anderen Hundes.
Jetzt tut ihr der verstauchte Fuß nicht nur weh, sondern er
riecht auch noch hundert Meter gegen den Wind. Soviel Kac-
ke am Fuß kann manchmal Glück, aber eher wohl einen
schlechten Tag bedeuten.
Sie hat Mühe, die Schuhe im nächsten Brunnenbecken, zwei
Straßen weiter, zu säubern. Die Kacke ist offenbar von ges-
tern und daher zäh. Jasmin gibt nicht auf. Sie opfert neun Pa-
piertaschentücher. Das ist wenig im Vergleich zu dem, was
sie heute noch opfern muß...
Ihr schöner Hut plumpst ins Wasser und geht, der Schwere
wegen, sofort unter.
Mein Hut! Liebe Güte, mein Hut!, jammert sie und blickt sich
hilfesuchend um.
Ein süßer, schmächtiger Fratz von etwa zehn Jahren kräht
vorlaut: dies ist ein heiliger Brunnen, Madame! Wer was rein-
wirft, darf es nicht mehr rausholen!
Er deutet auf die Münzen in der Brunnenmitte.
Für Hüte gilt das ja wohl nicht, oder?!, klagt sie wütend.
Für Hüte auch. Leider, Madame!, kräht der Bengel mit en-
gelsgleicher Unschuldsmiene.
Sie nickt traurig; stolpert weiter.
Kaum ist sie außer Sichtweite, fischt der blonde Fratz nach
dem Hut, um ihn später auf dem Wochenmarkt an Touristen
zu verkaufen.
Kurz bevor Jasmin die Pfandleihe betritt, in der sie arbeitet,
rast ein Lastwagen mit Karacho durch eine große Ölpfütze
am Rinnstein. Dies ist ein verdammt übler Tag und die alte
Frau auf dem Gehweg ist zu langsam, um nicht von der
schwarzen Fontäne erwischt zu werden.
Zum Glück hat sie wenigstens zwei hilfsbereite Mitarbeiter,
die den ganzen Schlamassel mit ansehen und sich rührend um
die von oben bis unten beschmutzte Kollegin kümmern.
Eine halbe Stunde danach lächelt Jasmin wieder - noch etwas
mühevoll, aber es macht sich. Sie öffnet ihren Schalter und er-
wartet, relativ gutgelaunt, ihren ersten Kunden. Der kommt in
Gestalt eines Mannes in den mittleren Jahren. Der Mann trägt
schäbige, um nicht zu sagen: zerlumpte Kleider, und ebenso
zerlumpt sieht er aus. Sein speckiges Haar ist vorne lang und
hinten kahl - eine Variante, die recht selten ist. Von seiner
Nase tropft Schnotter. Auf der rechten Wange klebt der Rest
getrockneter Farbe - eher Blut. Das Nuscheln seines Mundes
verrät, daß er im Zuge der letzten Schlägerei die restlichen
Zähne eingebüßt hat. Der Kerl kaut an einem Zigarrenstum-
mel, der seinen krummen Fingern in vielem ähnelt. Rauch
steigt nicht aus diesem Stummel. Rauchen ist im Pfandhaus
auch streng untersagt - er kaut und sabbert nur daran he-
rum, schmatzt, rülpst, sabbert und brummt schließlich:
Wären Sie wohl so freundlich, mir die Einnahmen des heuti-
gen Tages auszuhändigen, Madame?
Er deutet auf seine zerbeulte Manteltasche, aus der der Lauf
eines Revolvers hervorblinzelt.
Jasmin wird bleich und bleicher. Sie will schreien, kann aber
nichts sagen, außer: es ist acht Uhr, morgens. Wir haben ge-
rade erst geöffnet, und... Und es gibt noch keine Einnahmen!
Sie starrt den Kerl an, dann das Sichtbare seines Revolvers
und sie hat Angst. Große Angst!
Acht Uhr, morgens? Soso...wiederholt der Fremde äußerst
gelassen und ruhig. Er versucht zu begreifen, bekratzt eine
Braue seiner glasigen Augen, denkt nach, oder versucht es
wenigstens - und endlich fällt der Groschen.
> Na dann. Ich sehe vielleicht heute abend nochmal bei Ihnen
herein, wenn es recht ist...Besten Dank jetzt schon mal für Ih-
re Freundlichkeit. <
Er verbeugt sich vor ihr, verbeugt sich auch vor Jasmins Kol-
legen - dann vergehen nicht mal drei Sekunden und der Kerl
ist wie vom Erdboden verschwunden.
Die Angst fällt nur langsam von Jasmin ab. Dafür kommt nun
ein Zittern zu ihr, das stundenlang andauert. Sie ist mit den
Nerven am Ende; schlottert, friert, und während sie gut um-
sorgt im Hinterzimmer der Pfandleihe hockt, um das Flirren
der Glieder abklingen zu lassen, stürmt Yvette, ihre Jüngste
herein, um ihr schonungslos und freudestrahlend beizubrin-
gen, daß sie nach zehnjähriger Abwesenheit wieder bei ihr
einziehen wird.
> Pierre ist ein Schwein, Mamon! Er hat mich immer wieder
mit anderen Weibern betrogen! <
Ehe Jasmin erklären kann, daß ihr das jetzige, ruhige Leben
- mit heutiger Ausnahme natürlich - eigentlich ganz gut ge-
fällt, klammert sich Yvette heulend an ihren Hals und klagt
herzerweichend: ein Schwein, Mamon. Ein Riesenschwein!!
Und keinen Atemzug später: ach Mama, wie lieb von Dir, daß
ich wieder bei Dir wohnen darf!
So geht dieser elende Tag endlich zur Neige. Mit einem Kopf,
schwer wie Stein, stolpert Jasmin ihrem Zuhause entgegen.
Als sie an dem Monstrum von Haus hochsieht, in dem sie lebt,
erkennt sie Licht in ihrem Wohnzimmer.
Yvette will doch erst morgen kommen...
Dann sieht sie flüchtig die Gestalt eines Mannes im Fenster -
eines fremden Mannes - und schon ist sie zurück, die Angst,
die ihren Hals packt! Sie denkt - nein, eigentlich denkt sie
garnichts. Und dann doch...Polizei. Ich muß die Polizei holen,
undzwar schnell!
Doch urplötzlich kommt ihr ein völlig anderer Gedanke, eine
zunächst noch absurd scheinende Idee...Hat sie nicht schon
immer davon geträumt, diesem grässlichen Hochhaus und
der ganzen wuselnden Großstadt adieu zu sagen?
Und ob! Viel zu oft hat sie nur geträumt, immer nur ge-
träumt. Aus den Schatten der Träume herauszutreten aber
wagte sie nicht... Immer war da dieses kleine Häuschen, ir-
gendwo in der Provinz...bunte Hühner im Garten, eine Kuh,
vier Ziegen(sie hat genau mitgezählt, im letzten Traum). Zwei
riesige Doggen, die jeden ungebetenen Gast draußen lassen.
Sieben Wuschelkatzen und präzise 23 Spatzen im Birnen-
baum. Sommer ist praktisch immer, die Luft riecht nach Blu-
men und Pfannekuchen, weil die immer schmecken. Und Jas-
min spaziert im dampfenden Gras, wenn die Sonne den Re-
gen von der Erde leckt. Ameisen; richtig, sie hat Ameisen ge-
zählt. Dabei ging die Nacht drauf. Es waren einfach zuviele.
Sollen die Leute doch nach ihr fahnden - Yvette und die gan-
ze, egoistische Sippschaft kann ihr gestohlen bleiben! Schluß,
aus. Nägel mit Köpfe...Die Mama taucht ab; ist unauffindbar!
Und die Arbeit im Pfandhaus?
Kann ihr ebenfalls gestohlen bleiben! Lange genug hat sie
sich dafür krumm gemacht. Alte Zöpfe soll man abschneiden,
und jetzt ist die beste Gelegenheit!
Der Fahrstuhl spinnt mal wieder. Also schnappt Jasmin nach
ihrer Handtasche, zirkelt Block und Kulli raus; kniet sich hin,
um ihre Vorfreude in nette Worte zu fassen.
Sie notiert:
Werter Herr Einbrecher,
wären Sie wohl so freundlich, oder unfreundlich - das kann
man durchaus von zwei Seiten sehen - die Wohnung, in der
Sie sich gerade bedienen, im Anschluß daran recht gründlich
zu verwüsten? Sie werden ohnehin leider nicht viel Brauchba-
res finden, dessen Sie sich erfreuen. Meine Ersparnisse sind
nicht bei der Bank, gegenüber; nicht im Kopfkissen, oder zwi-
schen den Nachthemden, wie mitunter üblich. Wertvollere
Schmuckstücke trage ich selbst, also wäre es weitaus klüger
gewesen, wenn Sie auf mich gewartet hätten.
Nun, Sie haben weißgott genug Gründe, furchtbar wütend zu
sein. Ich möchte Sie ermutigen, dem angestauten Frust frei-
en Lauf zu lassen. Also, nur zu! Sie werden sehen, daß Ihnen
danach sehr viel wohler ist.
Ich gewähre Ihnen; sagen wir: drei Stunden Zeit. Bis dahin
sollten Sie sich keinen Zwang antun und das Mobiliar zerlegt
haben. Ich zähle auf Sie!
In freudiger Erwartung und zu Dank verpflichtet
Ihre Jasmin Noel
p.s. Ich erlaube mir, ihre großen Kraftanstrengungen von
der Straße aus zu beobachten.
Sie kichert; drückt den Zettel an ihre schlaffe Brust.
Das wird ihn bestimmt rasend machen..!
Der Fahrstuhl sitzt wieder mal irgendwo fest. Sie wendet sich
schon zum Gehen, da ratscht es zu ihrer Rechten und die
Tür klappt auf. Aus dem Fahrstuhl kommen alte Bekannte. Das
Punkerpärchen.
Hei Oma. Na, alles senkrecht?, schnarrt der Typ und zieht be-
tont langsam seinen Hosenstall zu.
> Wiste mit? <
Will ich, entgegnete Jasmin knapp, aber gutgelaunt.
> Na denn, rein in die Kombüse! <
Eine Spur zu freundlich tritt er zurück. Und sein Grinsen wirkt
so wenig einladend, wie die Höhle eines Wilden. Verwundert
stellt er fest, daß irgendetwas fehlt. Irgendetwas, das sonst
immer da ist...Richtig - der Hut der Alten ist verschwunden.
> Na hoppla. Heut’ ohne Gemüse? <
> Wie Sie sehen, Herr...<
Sie streckt die freie Hand hin.
> Einfach Jojo. <
> Sehr angenehm, Herr Jojo.<
Plötzlich diese Idee.
> Kommen Sie mich doch bald mal besuchen. Sie und Ihre
Freundin. Ich würde mich wirklich freuen! <
> Jop. Ist geritzt, die Einlade. <
Seine Stirn kräuselt sich.
> Ziehste aus? <
Sie wirft ihr weisses Haar zurück; lacht übermütig.
> In die Provence! <
> Kann man da ein’ losmachen? <
Interessiert bekratzt er seine Hosenmitte.
> Soviel Sie wollen, Herr..<
> Jojo.<
> Sie werden es erleben, Herr Jojo! <
Jojo, verbessert er. > Einfach nur Jojo. Den ‘Herr’ schenk ich
Dir. <
Wieder das Kratzen, diesmal im Nacken.
> Schade, daß du abdüst, Oma. Scheinst nämlich in Ordnung
zu sein. <
> Bin ich das? <
> Wenn ich’s doch sag. Los, schieb ein, drauf! <
Er packt ihre schmale Hand; drückt sie danach schon viel
sanfter.
Gib den Provinzeiern fett Saures!, schnauzt seine Freundin
und küsst ihr überfallartig zum Abschied die Wange.
Ich schreibe Ihnen demnächst mal, verspricht Jasmin, ehe
sie die Beiden aus den Augen verliert.
Ja, mach das, hört sie noch. Dann ist sie allein.
Aufwärts, in den achten Stock.
Sie zittert noch ein wenig, als sie den Zettel unter der Woh-
nungstür durchschiebt. Danach ist ihr wohler.
Etwa eine Viertelstunde später sieht sie von der Straße aus,
daß einige Dinge kreuz und quer hinter den Fensterscheiben
entlangfliegen. Da ist der Schatten eines wild umherspringen-
den Menschen. In der Hauptsache aber segeln Möbelstücke
durch die Wohnung - kleine, große, ganz große. Der Mensch,
da oben, hat wirklich viel Kraft - und Wut.
Das merkwürdige Spektakel dauert noch eine ganze Weile.
Zu guter Letzt kracht ihr guter, alter Fernsehsessel durchs
Fenster und zerbirst mitten auf der Straße.
Aber da ist Jasmin schon fort.
2.
Die störrische, alte Dame lehnt jeden Besuch ab.
Nur Jojo und seine Freundin mit der weissen Ratte dürfen zu
ihr. Sie nennen Jasmin jetzt ‘Tantchen’.
Sie albern viel. Jojo prahlt mit wüsten Sexgeschichten im Fahr-
stuhl. Seine Freundin, die Marleen heißt, spielt derweil aus-
giebig mit Gina Lollobrigida, der weisshaarigen Ratte. Und die
alte Dame hört und schaut ihnen amüsiert zu.
Hin - und wieder spaziert ihr Blick verliebt über die sanften
Hügel der Provence, draußen, vor dem Panoramafenster.
Sie ist am Ziel; ist im Traum angekommen - nicht ganz, aber
immerhin...Die Singvögel im weitläufigen Garten der Nerven-
klinik sind zwar für alle und nicht nur für sie allein da, auch
die paar Hühner, drüben im Freigatter und die drei streunen-
den Katzen im Vorratskeller. Regeln gibt es hier, und feste
Zeiten, schlafen zu gehen. Doch das ist halb so schlimm. Jas-
min ist angekommen.
Nur selten reden sie von früher. Jojo sagt dann immer:
Der Typ hatte echt ‘nen Bums. Die Bude war jedenfalls Klein-
holz...Aber das mit dem Zettel war nicht so clever, Tantchen.
Arschklar, daß die Bullen den Wisch finden..!
Er zertritt eine Kippe auf dem schönen Teppich.
> Und jetzt biste zur Strafe inner Klappse. <
> Zur Strafe? <
> Was denn sonst? <
Sie lächelt - nimmt Jojos‘ Hand.
> Hitzkopf. <
(c) Ralph Bruse
veröffentlicht im Erzählband ´Sprung´, Mönnig-Verlag, Iserlohn.
ISBN 978-3-933519-48-1
Der Fisch ist tot
Wieder mal war ich ganz unten. Ich verkaufte Fische. Dreimal
die Woche. Fische hinter Thekenglas, in Eiswürfel gequetscht
und an den Bäuchen aufgeschlitzt. Widerlich! Ihre starren Au-
gen glotzen mich den ganzen Tag lang vorwurfsvoll an. Jeden-
falls scheint es so, als würden die meuchlings hingeschlachte-
ten Kreaturen allen stummen Zorn einzig gegen mich richten.
Dabei bin nicht ich es, der Ihnen den Garaus macht. Ich könn-
te nicht mal einem Dackel, der mir bei Dunkelheit vorsätzlich
auf die Schuhe kackt, böse sein.
Dichter sind ja sowas von sensibel!
So sieht es also aus...Ich verkaufe Fische, obwohl ich doch
zum Poeten bestimmt bin. Nur lässt der Erfolg meiner schrei-
benden Arbeit ewig auf sich warten. Habe mal mitgezählt, nur
so aus Spaß und Zeitvertreib - mein achtzigseitiges Tatsachen-
krimi - Manuskript mit dem vielversprechenden Titel: ‘Alle
Neune’- Tod einer neunköpfigen Kegelrobbensippe, bei
Ebbe, vor Helgoland war genau 123mal bei Verlagen ge-
floppt. Einhundertdreiundzwanzig Absagen - das ist des Un-
guten denn doch zuviel - zumal fünf Jahre intensivster Re-
cherchen in der Buchvorlage steckten.
Geknickten Herzens beschloss ich, die Schreibfeder ein - für
allemal aus der Hand zu legen, um mich drängender Zah-
lungsschwierigkeiten zu widmen. Noch recht lustlos sprach
ich beim Arbeitsamt vor und bat noch lustloser um Arbeit,
jeglicher Art.
So wurde ich Fischverkäufer. Eigentlich hab ich es noch gut
getroffen - ich hätte auch Straßenfeger oder Fensterputzer -
sogar Keksvertreter für eine bekannte Süsswarenfirma wer-
den können. Der Vermittler auf dem Amt war wirklich nicht
kleinlich. Er ließ mich großzügig zwischen seinen Angeboten
wählen. Und als ich mich spontan für den Fischverkauf ent-
schied, sprang er vom Stuhl, drückte mir herzlich die Hand
und schob mich noch herzlicher und beglückt zur Tür raus.
> Sie werden es weit bringen, Freundchen!, < krähte er mir
nach.
Sein albernes Gekicher verfolgte mich noch tagelang. Zudem
fand ich nur mühsam Schlaf, weil die olle Keller - unsere Haus-
wirtin, nun andauernd vor meiner Wohnungstür herumschnüf-
felte und lautstark vier ausstehende Monatsmieten forderte.
> Sie fliegen hier raus, wenn das Geld nicht bis Ende der Woche
beikommt. Undzwar achtkantich!, < keifte sie so erregt durch's
Haus, daß mir Angst und Bange wurde.
Höchste Zeit also, zu handeln.
Und wie ich handelte..! Schon am gleichen Tag, in aller Herr-
gottsfrühe, stand ich bei dem Fischfritzen auf der Matte. Herr
Schollie - so heißt mein Arbeitgeber - war gerade dabei, der
Reihe nach den Kutterfang der letzten Nacht auszuweiden. Der
Anblick schwabbelnder Innereien bereitete mir auf Anhieb ern-
ste Probleme - konkret: Magensausen. Dreimal gab ich mich an
diesem, meinem ersten Arbeitstag, der Kloschüssel hin und je-
desmal dachte ich schwach daran, vielleicht doch besser Scherz-
keks-Vertreter, oder Fenstermob zu werden.
Doch ich blieb. Trotz heftiger Magenallüren und voll heimli-
cher Verachtung für Herrn Schollie, der tagtäglich Armeen
von Fischchen auf seinem blutigen Seziertisch massakrierte,
hielt ich durch. In Schollies ochsenähnlichem Gesicht machte
sich keinerlei Mitleid breit; daher redete ich mir ein: du mußt
jetzt übermenschlich tapfer sein! Der Anblick dieses barbari-
schen Gemetzels ist zwar schlimmer als Waterloo, aber du
schaffst das irgendwie. Denk immer nur an die drückenden
Schulden, die zu tilgen sind..! Vielleicht hilft dir die erbauen-
de Vorstellung, daß die hysterische Hauswirtin hier eines Ta-
ges als Haifisch auf Eis liegt, nachdem Herr Schollie - mein
lieber Scholli - sie irrtümlich bei Stromausfall mit dem Hacke-
beil in viele kleine Filetteile zerlegt hat.
Wie findest du das?
Na also, geht doch...
> Heeh, Junge, was quasselste denn dauernd mit dir sel-
ber?!, < motzt Herr Schollie und holte mich roh aus meinen
Träumen in die harte Wirklichkeit zurück.
> Du sollst hier Fisch verscheuern und nich’ rumdösen. Mach
voran und hol gefälligst die Leute hierher! <
Ich beiße die Zähne zusammen - nuschel’: > Fisch. Guter Fisch.
Frisch und günstig...<
> ‘n bisschen lauter, wenn ich bitten darf!, < flaumt der Schollie.
> Das is’ viel zu lahmarschich! Mit der Piepse holste nich’ mal
‘ne Zehnzentnersau zum Fresstrog! <
Der Typ nervt - und wütend macht er mich auch. Also schwin-
ge ich mich zur Höchstform auf.
> Ach-tung! Alles mal herhör’n!! Hier gibts Fisch, verdammt-
nochmal! Haufenweise Fisch! Der ist ja sowas von frisch, der
Fisch! Und saubillig ist der auch noch!! <
Nicht mehr Herr von Sinne und Stimme schreie ich munter
weiter.
> Hört Ihr mir überhaupt zu?! Der Fisch ist billig, also los, ran
an die Beute! So frischen Fisch gibt's nicht mal im Wasser! <
Ich werfe einen Fisch in die Luft; warte, bis er Meter weiter
knapp vor die Füße der Leute klatscht.
> Der Fisch ist tot. Das ist der Beweis! Und frisch ist der alle-
mal, der arme Fisch, der! Kaufen, kaufen, kau...! <
Die Stimme versagt.
Ich starre in die Runde.
Eine Oma kichert erheitert. Auch ihr Nebenmann, ein dicker
Typ, der mir irgendwie leicht dämlich vorkommt, lacht sich
einen Ast.
Ich japse nach Luft und denke schon an den endgültigen Raus-
wurf - da geschieht das Unmögliche - die Leute kaufen mir
die Fische unter den Händen weg.
Herr Schollie reibt sich vergnügt die Pranken, klopft mir hart
ins schmale Kreuz und brabbelt: > Siehste, klappt doch, der
Laden. Aus dir mach ich noch’n fähigen Spitzenverkäufer! <
Ich nicke leicht verwirrt und schiebe den nächsten toten Karp-
fen über die Theke.
So geht das den ganzen Tag lang. Ich brülle mir allen Frust
von der Seele - und die Leute kaufen ratzfatz unser’n ‘ver-
dammten Fisch’. Mitunter denke ich schon, die Leute sind
tendenziell plemplem, oder zumindest für kleine Gemeinhei-
ten zu haben; frei nach dem Motto: gib uns Saures! - und den
Fisch dazu. Das verstehe, wer will.
Jedenfalls wurde ich bald ein Fischverkäufer der Extraklasse.
Herr Schollie bot mir freiwillig mehr Gehalt, weil er spitzge-
kriegt hatte, daß der Gemüsefritze, am Stand gegenüber, mir
Avancen machte, sein Angestellter zu werden. Auch der La-
kritzverkäufer, eins weiter, umwarb mich. Das ließ ich meinen
jetzigen Chef wissen, und der mußte meinen Lohn nochmals
aufstocken. Inzwischen verdiene ich mehr Geld, als Herr
Schollie sich auf Dauer leisten kann. Eines Tages meinte er
darum zerknirscht: > Bürschchen, du bist einfach zu gut für
den Verkauf. Und zu teuer. Willste mein Teilhaber werden? <
Und ob ich das will!
Da gibt es nur ein Problem - zwei, genauergesagt: tote Fische
kann ich nach wie vor nicht ausstehen, und der Schollie ist mir
trotz dramatischer Lohnerhöhung immer noch genauso un-
sympathisch, wie seine leblose Ware.
Ich bat mir Bedenkzeit aus und beschloss, mich bei solch
schwerwiegender Entscheidung mit Willi, meinem besten
Freund, kurzzuschließen.
Noch am gleichen Abend suchte ich ihn auf.
Schon mein erster Eindruck war der, daß Willi sich in der Zwi-
schenzeit reichlich verändert hatte. Nicht äußerlich - er war
wie eh der glubschäugige Zwergenmensch mit nicht einwand-
freien Manieren. Speziell die Frauen aus Rotlichtgefilden hiel-
ten ihn und ‘den kleinen Willi’ auf Trab. Daran ändert auch
die Tatsache nichts, daß dieser hässliche Gnom Namens Willi
Tramm seit Jahren im Rollstuhl sitzt.
Trotz gravierender Unterschiede in Art und Alter, mögen wir
uns. Willi ist doppelt so alt wie ich und weiß viel vom Leben.
Ich wiederum weiß nichts vom Leben, obwohl ich, dem Alter
nach, wenigstens die Hälfte wissen müßte. Macht nichts - des-
halb bin ich ja hier. Ich brauche Willis Rat. Und Willi braucht
mich, weil ich ihm hin - und wieder eine Dame mit großer O-
berweite (er besteht auf Riesenbrüste) zuführe - ausschließ-
lich Nutten, wie gesagt, aber das ist nicht weiter wichtig. Willi
ist sich bewusst, daß er nicht gerade mit Schönheit gesegnet
ist. Seine Chance, eine Freundin zu finden, tendiert gegen Null -
das weiß er, und sagt es auch. Dazu das Handicap, im Rollstuhl
zu sitzen - aus mit Maus, meint Willi. Ich sehe das etwas an-
ders, bin aber nicht sein Aufpasser.
Natürlich denke ich manchmal drüber nach, ihm keine Frauen
mehr zu besorgen. Aber dann sag ich mir auch: nein, dieser
hässliche, kleine Kerl im Roller ist dein Freund, und Freunde
lässt man bekanntlich nicht im Stich - auch wenn es Summa
Sumarum... ja, wieviel? - sagen wir: ganz schön viel kostet.
Kurzum: wir sind zwei total unterschiedliche Typen und trotz-
dem eins: Brüder im Geiste.
> Na Jung’, alles senkrecht?, < begrüßt Willi mich vollmundig.
Das ist der Willi, den ich kenne.
Doch das ändert sich rapide...In seiner kargen Bude hängen
lauter Heiligenbilder herum. Früher baumelten hier Bilder von
nackten Frauen.
Räucherkerzen. Überall Räucherkerzen. Und auf dem einzigen
Tisch, in der Zimmermitte, steht eine Kugel aus Glas; im Hal-
ter; fast kopfgroß und schön bunt.
Willi ein Heiliger, ein Eunuche, ein Klosterbruder?
Kann nicht sein. Unwillkürlich muß ich lächeln.
Die Gardinen im Zimmer sind zu. Nur ein Fetzen Tageslicht
kämpft gegen Zimmergefunzel und Rauchschwaden an.
Der sonst muntere Willi ist auf einmal mucksmäuschenstill.
Seelenruhig zündet er eine fette Kerze an. Sein Knautschge-
sicht wirkt jetzt glatter - irgendwie zufrieden. In seinen vor-
stehenden Augen spiegelt sich die bunte Kugel.
> Gehts dir gut, Willi?, < frage ich ihn sicherheitshalber.
> Klar gehts mir gut. <
Seine Glubscher fixieren mich. Dieser intensive Blick ist mir
unangenehm.
> Wieso fragste? <
> Och, nur so. Ich dachte grade, daß es dir hier drinnen zu
heiss sein könnte. Draußen ist nämlich Hochsommer, weißte? <
> Weiß ich, Jung’. Schon klar, < sagt eine völlig veränderte
Stimme aus dem Halbdunkel. Ehe ich mein schwerwiegendes
Problem zur Sprache bringen kann, brummt Willi in tiefst-
möglichem Bariton: > Ich bin ein See. Ein tiefer See. Wirf
deine Sorgen da rein...(denn schon lieber mich selbst, weil es
in deiner Bude abartig warm und stickig ist!) Wirf deine Sor-
gen in meinen See. Du wirst die Lösung aller Fragen auf dem
Grund finden. <
Sein schrumpliger Schädel schiebt sich noch näher an die Glas-
kugel. Die zwei sind quasi in Kussnähe. Dichter geht's wirklich
nicht.
Der Rollstuhl knarrt.
Mein Stuhl knarrt.
Die Kerzenflamme knackt vor sich hin.
> Du hast den Kanal, < raunt es nach einer Weile.
> Was denn für’n Kanal, Willi? Ich dachte, ich wär’n See! <
> Ich bin der See!, < korrigiert mich die grausigtiefe Lokus-
stimme.
> Du hast den Kanal. Du bist empfänglich für die Wahrneh-
mungen anderer. <
> Ach so. Hättst ja auch gleich sagen können, daß mein Kanal
Ohren hat! <
Ich straffe mich.
> Na klar bin ich auf Empfang und ich hör dir auch bestimmt
zu, Willi, aber so allmählich finde ich, du solltest...<
Er macht eine wegwerfende Handbewegung, die keine Wider-
rede duldet. Die Geisterstille im Zimmer beunruhigt mich zu-
nehmend. Ich erwäge ernsthaft, die Flucht anzutreten. Doch
Willi spricht plötzlich wieder mit normaler Stimme, so daß ich
Hoffnung habe, er wird wieder ganz der Alte sein.
So kann man sich irren: die Stimme ist zwar im Lot, doch Wil-
lis' Geist hängt noch im Nirvana fest. Seine Glubscher treten
noch weiter aus den Augenhöhlen, kleben wie Motten an der
Kugel. Die Gichtfinger flattern fledermaushaft in der rauch-
schwangeren Luft - ebenso die großen Ohren. Ein Bild für die
Götter - und für den Arzt mit der Beruhigungsspritze.
> Sieh in der Zeitung nach...Am Freitag. Es wird dein Leben
zum Guten verändern und die Lösung all deiner Sorgen sein.
Vertrau deinem Kanal (der schon wieder!). Sieh in die Zei-
tung. Freitag...! <
Die Anstrengung ist ihm deutlich anzumerken. Schweißtrop-
fen fallen wie Regen von seiner Stirn.
> Du wirst ein Mädchen treffen...Nein, du bist ihr schon be-
gegnet. Tina heißt sie. Ihr kauft euch bald ein Haus und ei-
nen blauen Porsche. <
Er stockt für einen Moment.
Und ich halte die Luft an und kriege das große Zittern.
Dieser Willi Tramm weiß tatsächlich mehr, als jeder andere
seines Fachs! Er stiert noch gieriger in das bunte Allerlei der
Glaskugel. > Du bist ein Fisch in meinem See...Ich kann dich
sehn...Du bist der Herr der Fische. Der Dickste von allen. Vie-
le Fische seh' ich...<
Er zuckt zusammen.
> Ihre Bäuche schwimmen oben. Alle tot! Nur du bist noch
da. < Sein Tonfall wird schärfer. > Du willst nicht Herr der
toten Fische sein. Das ist gut. Wir sind alle die gleichen, irdi-
schen Geschöpfe...Kauf Bohnen, hol' Bohnen und fütter' die
toten Fische in meinem See, damit sie zum Leben erwachen.
Bohnen sind ihre Rettung. Kauf Bohnen, viele viele Bohnen,
am besten gleich in Säcken! Du wirst sie brauchen! <
Er seufzt. Dann trudelt sein Kopf erschöpft neben die Glas-
kugel. Ich stürze hin; richte ihn auf, so gut es eben geht.
Leider sackt der Kopf wieder vornüber. Willis Glubschaugen
glänzen irre und vom Mund seilt sich grünliche Spucke ab.
Grünlich! Ist der noch zu retten! Schreck lass endlich nach!!
> Eeeh, Willi. Mensch, komm zu dir! <
Ich scheuer’ ihm eine.
Nochmal.
Er lächelt mich an; glotzt aber durch mich hindurch.
> Rette die Fische. Du kannst sie retten. <
> Erstmal rette ich dich, du Doofi! <
Die nächste Klatsche. Hilft endlich. Er kommt zu sich. Ich rüt-
tel ihn wie den Birnbaum meiner Oma - gründlich.
> Du kannst ein’ vielleicht erschrecken, Mann!... Na, wieder
auf’m Damm?<
Er nickt.
> Du rettest doch die Fische, ne?, < brabbelt er seelenruhig
weiter.
Sturkopf, der.
> Okay, ich rette sie. <
Ich verspreche ihm auch, morgen wieder herzukommen. Da-
mit ist er einverstanden. Da ist es wieder - sein bekanntes,
schiefes Grinsen.
> Und bring was zu Kuscheln mit, ne? <
> Blondine? <
> Weißte doch. < Und er fügt schmatzend hinzu: > Schön
mollich. Große Möppse. Kennst ja mein' Geschmack. <
Kenn ich.
> Nich’ vergessen, ne?! <
Vergesse ich nicht - schon wegen der zweihundert Mäuse
nicht, die ich Vollpfosten wieder mal vorstrecke und denen
ich wochenlang nachrennen muß.
Na ja, werd’s überleben. Willi mag es nun mal weich. Viel
Geschmuse. Ohne Eile.
> Ich lass dich jetzt ungern allein. Muss aber los. Kommste
klar? <
> Jo, < meint er schon viel besser gelaunt und geleitet mich
noch zur Tür.
Unten, auf der Straße, fallen mir Willis Weissagungen wieder
ein, und mir wird leicht frostig bei dem, was er so alles wuß-
te. Schnurstracks steuere ich auf eine Telefonzelle zu; wähle
Tinas Nummer.
> Willi Tramm?, < sagt sie. > Kenn ich nicht. Wer soll das
sein? <
Das Frösteln nimmt zu.
Wir verabreden uns fürs Wochenende, dann lege ich auf.
Auf dem Heimweg grübele ich angestrengt darüber nach, wo-
her Willi - der eingebildete Seher- den Namen meiner Freun-
din weiß? Tina und ich kennen uns ja erst wenige Tage - und
in der Zeit war ich kein einziges Mal bei Willi. Der dürfte ei-
gentlich von nichts wissen. Und überhaupt: der Kerl ist mir
nicht geheuer!
2.
Schon bald überstürzen sich die Ereignisse.
Ich schlage das Angebot von Herrn Schollie ohne jeden Skru-
pel aus und heuere beim Gemüsehändler, gegenüber, an.
Bohnen sind zur Zeit der absolute Renner. Die Leute sind
wild auf Bohnen. Wir kaufen und verkaufen fleißig. Mein neu-
er Chef ist voll des Lobes über mich.
Je mehr Bohnen wir verkaufen, desto weniger Fische gehen
da drüben, über die Theke von Herrn Schollie. Dessen Miene
wird täglich säuerlicher.
Schließlich - es ist ein Freitag im Juli - bleibt die Ladenklappe,
gegenüber, ganz zu. Herr Schollie verkauft keine Fische mehr.
Das liegt sicher daran, daß er seinen fähigen Mitstreiter ver-
loren hat. Aber auch daran, daß dieser undankbare Ex-Tage-
löhner - also ich - derweil einen Bericht an die örtliche Zeitung
schickte, in dem stand, daß Herr Schollie seinen Fischen bei
lebendigem Leib die Gedärme rausreisst – was durchaus der
Wahrheit entspricht. Er ist einfach zu faul, ihnen vorher was
mit dem Holzhammer überzubraten.
Fische gelten bekanntlich als Nutztiere, ohne Beistand und
ohne jede Lobby.
Der Bericht löste somit nicht gerade einen Skandal aus, aber
die präzisen, grausigen Schilderungen aus meiner Schreibfeder
wurden immerhin ein Aufreger mittelgroßen Ausmaßes, der
das staubtrockene Sommerloch der Zeitungsfritzen mit bele-
bendem Nass füllte.
An diesem heissen Freitagmorgen steht mein Bericht also
schwarz auf weiß in der Zeitung - und Schollies Laden ist dicht.
Inzwischen glaube ich wahrhaftig an sowas wie ausgleichende
Gerechtigkeit und auch daran, daß es so weitergeht, wie Willi
mir prophezeit hat. Ich werde sackweise Bohnen verkaufen
und nebenher für das Ortsblatt schreiben. Und die Glücks-
strähne wird solange anhalten, bis sie vorbei ist - doch bis
das passiert, ist der Hase längst über’n Berg. Soll heißen: ich
bin reich. Eventuell auch stinkreich...Vielleicht heirate ich dann
Tina. Vielleicht auch ‘ne Andere. Oder garnicht. Jedenfalls
kaufe ich mir ganz bestimmt ‘nen blauen Porsche und das da-
zu passende Angeberhaus, am Stadtrand. Das bin ich meinem
alten Freund einfach schuldig.
Und Willi?
Der zieht logischerweise mit ins Haus. Ist ja genug Platz da.
Ihm werde ich dann scharenweise betuchte Herrschaften vor-
beischicken, damit er ihnen die Zukunft voraussagt.
Etwas Kleingeld kann ja auch nicht schaden. ‘Kuschelige'
Bordelldamen kosten nämlich auf Dauer ein Schweinegeld.
Storie: (c) Ralph Bruse
Grafik: open clipart org.
veröffentlicht im Erzählband ´Sommer-Abenteuer´
Netnovela-Verlag; ISBN: 978 - 1490522906
Der Fisch ist tot
( Teil 2 )
> Scheisshitze!, < stöhnt Willi. Er blinzelt zerknirscht in die
heiss brennende Sonne, zieht ein Taschentuch aus der Hosen-
tasche. Wie in Trance wienert er seine Glatze.
> Kannst ruhig noch 'n Gang zulegen, < meint er. > Fahrwind
kann nich' schaden, bei der Affenhitze! <
> Jawoll, der Herr, < erwidere ich wenig begeistert, gebe aber
trotzdem mehr Hackengas.
Einige Spaziergänger glotzen uns ziemlich verwundert an.
Eine ältere Frau ereifert sich: Das ist kein Rennplatz. Hier gilt
Schritttempo!
Was sie nicht sagt. So ermuntert macht rasantes Fahren ja noch
mehr Spaß!
Auch Willi scheint reichlich Spaß zu haben. Noch jedenfalls...
> Hau rein, Ralphbärbel!, < kräht er.
> Na warte!, < japst 'Ralphbärbel' . > Volle Kraft voraus! <
Rollstuhl, samt Schieber und Insasse, sausen am Flussufer lang.
Willi quietscht wie ein Kleinkind vor Vergnügen - und ich
keuche wie ein Ackergaul in seinem Windschatten.
Okay, die Rennerei ist ziemlich arbeitsintensiv, aber die ratz-
fatz zur Seite springenden Leute entschädigen allemal dafür.
> Idioten! <
>Arschlöcher! <
> Gesocks! <
Wie nett die Leute heut wieder sind...
Eine Oma schlägt sogar mit 'nem Gehstock nach uns.
Willi schnappt sich die Krücke, um sie kurz darauf wieder hinter
sich zu schleudern. Nur meiner guten Reaktionsfähigkeit ist es
zu verdanken, daß der Stock nicht mit meinem Kopf zusammen-
trifft.
Wir sausen fröhlich weiter.
> Weg daaaa!, < johlt Willi. Volle Granate! Die Irren kommen! <
Der geteerte Weg führt bald leicht bergab. Das bedeutet, daß wir
ordentlich Fahrt machen.
Dann führt der Weg plötzlich steil bergab und wir haben ebenso
plötzlich einen Affenzahn drauf.
Willi geht die Düse - wild rudert er mit seinen kurzen Armen in
der Luft und schreit: Das reicht, Kollege. Jetzt kannste die Kar-
re wieder runterfahren!
> Runterfahren...jes, Herr Kollege. Nur: wie?!, < japse ich müh-
sam.
Der Weg fällt noch steiler ab und ich kann Willis' Sausestuhl bei
bestem Willen nicht mehr stoppen. Außerdem versagen zeitgleich
meine unkontrolliert dahinstelzenden Beine ihren sonst treuen
Dienst.
> Halt die Kiste an!, < blökt Willi, dem schon Böses schwant.
> Biste überhaupt noch da??? <
Bin ich nicht, denn ich fliege ihm nicht mehr nach, sondern der
Länge nach auf's Maul. Willi jagt denn so ganz allein, samt Rolli,
mit gut dreißig Sachen in Richtung Flussbett. Armer Kerl...
Dann die Wasserlandung...Willi reisst beide Arme hoch...Sein
helles Schreien geht mir durch und durch...Armer Kerl, sag ich
doch...Und: platschschsch!
Das war's denn wohl....Scheiße, elende!
Trotzdem: für den winzigen Teil einer Minute - also etwa für
zwei, drei Sekunden, zuckt es heftig in meinen Mundwinkeln.
Obwohl ich bestimmt nicht schadenfroh beim Anblick des hero-
isch schreienden 'Geisterfahrers' bin, so muß ich mir doch ein-
gestehn, daß der johlende Willi schon eine ulkige Nummer ab-
gibt, wie er da so in den Fluss kracht.
Schließlich höre ich sein herzzerfetzendes > So eine Kaaaacke! <
und bin auch schon wieder ganz ernst und hellwach.
Willi kippt im gleichen Augenblick vornüber, um sich dem Tod
durch Ertrinken zu fügen.
Mir stehn dicke Tränen tiefster Trauer in den Augen, und ich ma-
le mir schon aus, wie man Willi zu Grabe tragen wird - Mangels
finanzieller Masse im selbstgezimmerten Sarg aus Sperrholzlat-
ten; obenauf die heissgeliebte Wahrsagerkugel. Willi kann denn
auch nichts mehr sehn - nicht mal, ob wenigstens eine seiner
Liebschaften auf der Friedhofsmatte steht. Bei den bezahlten
Damen war er ja nie knickig - also stehn die Chancen gut, daß
mindestens eine auftaucht.
Dann dämmert mir, daß Willi keineswegs reif zum Sterben - und
mit 61 noch viel zu jung ist, und daß sein manchmal liderlicher
Lebenswandel mitnichten ein solch grausames Ende rechtfertigt!
Und schon springe ich mit allerletzter Kraft wieder auf die Beine,
um den einzigen Freund zu retten...renne und renne; stürze mich
tollkühn in die reissenden Fluten, die heute garnicht so reissend
sind, wie ich erleichtert feststelle...zerre den zentnerschweren
Willi ans Ufer und somit ins Leben zurück.
Geschafft!
Dreimal kotzt er in die saftiggrüne Wiese; dann taucht endlich
wieder ein Fleck gesunder Röte in seinem Gesicht auf. Er öffnet
die Glubschaugen, schnappt wie ein Karpfen nach Luft. Ich
streiche ihm die Wange. Er nickt; grinst sachte. Wenn er grinst,
wird alles gut....Ich bin so froh, daß er grinst!
Der Rollstuhl!, fällt mir ein. Ohne Stuhl wird nichts gut. Also
spurte ich nochmal los und rette auch noch den Roller.
Völlig am Ende, aber über alle Backen glücklich, falle ich neben
Willi in's Gras und brauche ungefähr - vielleicht auch mehr -
Minuten, um die strapaziösen Rettungsmaßnahmen zu kurieren.
> Hast mich gerettet, weißte ja, ne?, nuschelt Willi nach einer
Weile.
Ich lache zufrieden und auch ein bisschen stolz.
Willi lacht mit.
Gutes Gefühl - zwei Verrückte, die lachend im Gras liegen.
Kurze Zeit später meint Willi: ich muss schiffen, Kamerad. Sein
Gesicht ist schon knallrot, und das heißt: es eilt!
Ich hieve ihn schnaufend in den Rolli; schiebe ihn Richtung
Fluss.
> Ich hasse nasse Füsse!, < mosert Willi.
> Wasser zu Wasser, < flappse ich.
> Scherzkeks, < presst Willi hervor, während ich ihn bauchtief
im Fluss parke. Willi lässt laufen, was laufen muß. Sonnenanbe-
ter - Halbnackte und ganz Nackte - glotzen amüsiert. Während
sich Willis' zerknautschtes, rotes Gesicht lichtet, haben die Gaffer
nichts Besseres zu tun, als weiterzuglotzen. Keine drei Meter ne-
ben Willi planscht ein Junge. > Was machst du da?, < quietscht
er laut. Die Augen des Knilchs werden immer größer. > Hast du
zu warm? <
Er schiebt eine Ladung Matsch auf seine Plastikschaufel und
schleudert sie nach Willi.
Treffer - mitten im Gesicht landet der Dreck. Willi grinst tapfer.
> Fertig?, < rufe ich.
> Immer die Ruhe, < zischt er. Seine Froschaugen huschen um-
her. Er ist längst als Wildpinkler enttarnt. Die Leute gaffen wie blö-
de und sind nicht gerade begeistert. > Schwein!, < giftet jemand.
Schwein finde ich doch etwas übertrieben, drum fahre ich den
Mittelfinger aus, um denn mal Flagge zu zeigen.
Der Jemand ist ein Kerl - etwa in meinem Alter, aber fast doppelt
so groß. Er baut sich vor mir auf. Oha, was ein Hühne...! Okay,
okay...ich hol denn mal Fahne und Stinkefinger wieder ein. Noch
ein nettes Unschuldslächeln - das beruhigt den Hühnen, also zieht
er wieder Leine, fletzt sich ins warme Gras, zehn Meter weiter.
Schon wieder der vorlaute Bengel: > Mutti, was macht der dicke
Opa da?, < fragt er zum x-ten Mal.
> Der Opa pinkelt ins Wasser, < antwortet Mutti wahrheitsgemäß
und zieht 'ne Flunsch, in Richtung Willi. Der zuckt zusammen. Im
gleichen Moment trifft ihn die nächste Ladung Matsch, und der
Piefke lacht auch noch ziemlich dämlich.
> Hol mich hier raus!, < schreit Willi stinkewütend.
Ich stapfe ins Wasser, ziehe ihn an Land. Auf dem Trockenen an-
gekommen, flunkert Willi, zu Mutti gewandt: Süsser Junge, den
Sie da haben. Und so aufgeweckt...Ganz liebreizend, das Kind!
Mutti glotzt ihn ungläubig von oben bis unten an.
> Ihnen ist da grade was aus der Tasche gefall'n, < schwindelt
Willi.
Der breite Schädel der Brünetten fliegt herum. Im gleichen Mo-
ment schubst Willi den kleinen Stinkstiefel ins Wasser - nur ganz
leicht - doch das reicht völlig, um sämtliche Heulsirenen des Ben-
gels in Gang zu setzen.
> Schönen Tach noch!, < nickt Willi und gibt mir Zeichen zum
unverzüglichen Abmarsch. Ehe Mutti einordnen kann, daß Willi
ihr einen Bären aufband, um dem aufgeweckten Piefke 'ne Ab-
kühlung zu verschaffen, sind wir außer Sichtweite.
Später sitzen wir zusammen in seiner Wohnung und reden über
dies und das.
Zwischendurch kommt Katja, die gute Seele vom Pflegedienst.
Die resolute, alte Dame ist nicht gerde begeistert, weil Willi un-
tenrum und auch sonst klitschnass ist. Gemeinsam schaukeln wir
ihn ins Bett; legen ihn trocken. Bevor Katja ihm frische Kleider
überstreift, tätschelt sie Willis' nacktes Hinterteil flüchtig - nur
ganz kurz - und doch lange genug, daß sich mein Verdacht erhär-
tet, Willi könnte was mit ihr haben.
Na und, warum auch nicht, denke ich mir und lächle.
Katja schlappt in die Küche; brüht Kaffee auf. Wir schlürfen das
köstliche Gesöff wie die Weltmeister.
Etwa eine Stunde später verduftet Katja. > Bis morgen! <
> Bis moin, Schnucki!, < ruft er ihr nach. Und denk mal an den
ollen Willi, ne...<
Katja bleibt im Türrahmen stehn. Sie errötet. Irgendwie schön,
wenn sie verlegen ist, die nicht mehr junge, treue Seele. Sie
blickt erst mich, dann Willi an.
> Keine Bange - der petzt nicht, < grinst Willi und klopft mir ins
Kreuz. Katjas' eher strenge Züge lösen sich etwas. Sie versucht
ein Lächeln , und mir kommt in den Sinn: die Gute ist manchmal
genauso einsam, wie mein Freund Willi; also sollten sich die Bei-
den zusammentun.
Kaum ist sie zur Tür raus, grinst Willi vielsagend. > Das Weib ist
zwar rappeldürr, aber der Arsch...< Er schmatzt. > Wie 'ne Birne. <
Er malt Kreise in die Luft.
> Oder Appel? <
Im Kopf arbeitet es.
> Ja, Appelarsch passt besser. Noch schön in Form, der Puper. <
Seine Stirn wird kraus. > Nu' ja, obenrum hat se nich' viel zu
bieten. Erbsenkultur halt...<
Er wird ernster. > Aber ansonsten schwer in Ordnung, unse'
Katja. Ich steck ihr immer mal 'n paar Euros zu, obwohl sie 's nicht
will. Ist doch auch 'ne arme Sau. Bei den Pflegeheinis verdient sie
ja so gut wie nix. Und ich komm noch ganz gut rum, mit 'n paar
Piepen weniger im Beutel. <
Sein kurzes Schweigen sagt mehr als Worte.
> Bist in sie verknallt, ne? <
> Verknallt?...Iwo, < wiegelt er ab.
Schlechter Lügner. Sein Lächeln sagt alles.
Die Glubschaugen suchen hilflos das Zimmer ab. > Mich würd'
sie sofort heiraten, hat sie neulich mal gesagt. <
> Na denn, vorwärts!, ermuntere ich ihn.
> Nee, so blöde bin ich denn doch nicht, < meint er.
> Wieso nicht? <
> Weil sie bereits mit 'nem Andern verheiratet ist...Ihr Oller is'
'n ganz Fieser. Dreht jeden Cent zweimal um. Totaler Geizhammel.
Zu Weihnachten gab's bei denen Linsensuppe aus der Dose - sonst
nichts. Null Geschenke. Keine neue Strumpfhose, wenn die alte
hin ist. Nicht die kleinste Kleinigkeit. Hast ja gesehn, in was für olle
Plünnen die Arme rumlaufen muß...Hat doch 'n Rad ab, der Geiz-
arsch, ne? <
> Allerdings, < sag ich und spüre im gleichen Augenblick, daß sich
in meiner Brust was zusammenknautscht.
Schließlich dauert mir das allgemeine Trübsalblasen zu lange.
> Wie läuft's denn mit der Wahrsagerei?, < wechsle ich das Thema.
Er winkt ab.
> Beschissen ist noch geprahlt....Die Leute wissen die Dienste ei-
nes wahren Genies eben nicht zu schätzen. <
Er kratzt sich hinter den Ohren.
> 'n bisschen Reklame würde den Laden vielleicht wieder zum
Laufen bringen...Kannste nich' mal nachhelfen? So'n ganz klein
büschen...? Ihr Zeitungsfritzen seid ja immer was am drehn...<
Sein Grinsen finde ich reichlich unverschämt, also mache ich mir
Luft. > Na hör mal, ich bin ein seriöser Zeitungsfritze. Ich dreh
rein garnichts, sondern recherchiere grundsätzlich korrekt und
sauber, und....<
> Jaja, krich dich wieder ein!, < macht Willi auf beleidigt. Dachte
nur so, daß ich die Katja irgendwann doch noch heiraten werd'...
Also, wenn sie den andern erst los ist, weißte. Und denn will man
ja was bieten können, ne...<
Das wiederum ist Musik in meinen Ohren. Willi ist schließlich
mein bester Kumpel, und über nichts wär ich mehr erfreut, als ihn
endlich wieder in ordnenden Händen zu sehn. Die Nutten, von de-
nen er nicht lassen kann, und die ich mitunter beiholen muß, sind
ja kein guter Umgang für ihn. Also werde ich wohl oder übel für
den verdorbenen Nuttenpriester einspringen, um ihn auf den Pfad
der Tugend zurückzuführen - undzwar mit Hilfe einer deftigen Not-
lüge....Mein Großhirn brütet bereits auf Hochtouren. Und als ich am
Abend dieses Tages Willis' Kabuff verlasse, steuere ich zielstrebig
und auf kürzestem Weg meine eigenen vier Wände an.
Genauso unerschrocken reisse ich die Tür meines kargen Zimmers
auf, batsche sie ins Schloss und geh zackigen Schritts auf meine
Schreibmaschine zu. Während draußen ein superschöner Sommer-
abend zur Nacht wird, tippe ich aus rein solidarischem Mitgefühl
die erste, happige Lüge meines Redakteurdaseins auf Papier.
Zwei Wochen später.
> Hopp, rein mit dir!, < flötet Willi schon von Weitem höchster-
freut.
> Da, les mal! <
Vor mir, auf dem Stubentisch, liegt der 'Tagesanzeiger'. Die Schlag-
zeile auf der Titelseite lautet:
Prominenter Seher sagt zeitnahe, schwere Inflation voraus!
Willi knallt mir seine Hand ins Kreuz.
> Astrein, der Bericht! Hat echt Stil, deine Schreibe! Die Leute renn'
mir schon seit Tagen die Bude ein, weil sie Schiss um ihre Piepen ha-
ben - vor allem die mit den vielen Piepen, weißte...
Jesses, die sind voll aufgedreht, wegen der Meldung. Woll'n alle wis-
sen, wohin mit der Kohle, wenn sie bald nix mehr wert ist. <
Er hebt unschuldsvoll die Arme. > Tja, was soll ich den Leuten
sagen?...'n bisschen was von den Moneys zu mir; den Rest in Lände-
reien und Dosenfressalien stecken. Viel mehr fällt mir dazu erstmal
auch nicht ein...<
Er feixt sich eins. > Volltreffer, Kamerad! Da haste die Meute ganz
schön aufgemischt!
> Stimmt, < knurre ich. > Deshalb bin ich ja seit gestern auch nicht
mehr bei dem Scheissblatt! Fristlos gefeuert, weil irgend so'n ande-
rer Wahrsager 'ne Gegendarstellung angezettelt hat...Das mit der
Inflation wär blanker Unsinn und nichts als Panikmache. Und ein
Wirtschaftsexperte fügte hinzu, daß der Export - Laden wie ge-
schmiert läuft, daß die Währung härter, denn je ist, und daß es
auch so bleiben wird...Ende Gelände...Das hab ich jetzt davon.
Ich hasse Zeitungsenten! <
Willis' Ohren zucken nervös. > Machste nix dran. Du hast dein
Bestes gegeben. Und außerdem ist Irren menschlich, ne. <
Kein Trost. Überhaupt kein Trost, sein Gesülze!
Willi fährt alte Geschütze auf. > Das soll so sein...Is' alles Fügung,
Jung', wirst sehn...! Bin ganz sicher, daß...
> Aber sonst gehts dir gut?, < unterbreche ich ihn.
> Klar. Warum fragste? <
> Nur so. Dachte, daß du vielleicht zu lange in deine Glaskugel
glotzt. Sowas schlägt nämlich manchmal nicht nur auf die Au-
gen. <
Bin nahe dran, vor Wut zu platzen!
> Setz dich hin!, < sagt Willi hart und die Ruhe selbst. Er zieht
mich zur Couch, rollt zur Schrankvitrine, kommt mit zwei Glä-
sern und großer Schnapspulle an; gießt ein; sagt in Befehlston:
> Los, rein damit! <
Was bildet der sich ein?!, denke ich - gehorche aber, weil seine
unkaputtbare Ruhe einfach göttlich ist.
> Ich kauf mir 'n Strick und erschieß mich!, < kann ich nur noch
sagen. > Gib mir noch einen! <
Er schüttet das Glas randvoll.
Auf Ex.
> Du bist der See, < meint Willi todernst.
(Er nun wieder. Fehlt bloß noch, daß er seine Glaskugel raus-
kramt, um weitere Überraschungen zu verkünden...Nee danke,
die eine reicht völlig)
Die Kugel bleibt, wo sie ist. Willi schenkt nach, plappert irgend-
was von Bestimmung - daß die 'ne ganz andere für mich ist.
> Wie anders?, < will ich wissen.
> Na, anders eben. Das wirste im nächsten Traum sehn. <
> Aha. Und was gibts da so zu sehn? <
Er wiegelt ab, verrät lediglich, daß er meine Bestimmung kennt,
nur eben noch nicht ganz klar erkennen kann.
Armleuchter, der.
> Konzentrier' dich auf die nächste Nacht; den nächsten Traum!, <
meint er beschwörend und garantiert scherzfrei.
> Jo, mach ich. Aber aufhängen tu ich mich trotzdem, und danach
erschieß ich mich! <
> Ist schon klar...Aber erst, wenn der Traum dir Bescheid gegeben
hat, weil nämlich Wunderbares passieren wird...! <
Der nächste Muntermacher.
> Aber zuallererst kriegen wir nachher holden Besuch. Hab da
zwei ganz entzückende Mädels aufgetrieben...Hier, vorletzte Sei-
te...< Er blättert in der Zeitung. Seine Wurstfinger flitzen; dann
stoppen sie. Der weinerliche Blick meiner Augen schärft sich et-
was.
Brandneu! Judith und Natascha! steht da groß in der Anzeige.
Und etwas kleiner darunter:
Erfrischend wie Sommerregen. Weiss wie Schäfchenwolken.
Spitz wie Lumpi.
> Weiss wie Schäfchenwolken, < schwärmt Willi sabbernd.
> Klingt irgendwie nach Unschuld und Keuschheit. <
(wer's glaubt...)
> Ist alles schon geritzt!, < beeilt er sich zu sagen. > Punkt sieben
stehn die beiden Schäfchen auf der Matte. Sozusagen als erstes
Wunder dieser Nacht. Na, is' das nix? <
Mensch Willi, du Gurke. Ich kann mich - um es mit seinen Wor-
ten zu sagen - nur wundern. Seine Begeisterung und das munte-
re Gesabber machen mich jedenfalls auch nicht froher. Und ich
sträube mich in der Regel auch energisch gegen Geschenke solch
´abscheulicher´ Art.
Dennoch: hier liegt eindeutig ein Notfall vor - also eine seelische
Katastrophe! Dann der viele Schnaps, riesiggroßer Kummer, zer-
störerische Depressionschübe und was weiß ich noch. Selbst der
Frömmste muß in dem Fall einsehen, daß Willis' Schenkung ir-
gendwie Hand und Fuß hat, mir Heulsuse wieder auf die Sprün-
ge zu helfen, weil ich ja praktisch moralisch im Eimer bin und
garnicht mehr weiß, wie und wo es langgeht - daß ich also für je-
des, noch so kleine Trösterchen dankbar sein werde; kurzum:
an einer warmen Frauenbrust werde ich - grottenschlecht, wie's
mir geht - höchstwahrscheinlich für ein Weilchen alles Unrecht
der Welt verschmerzen.
Na gut, einverstanden, Willi Tramm, du verdorbener Hirte
'weisser Schäfchen'.
> Und Katja?, < laller ich so vor mir hin.
> Was soll mit ihr sein?, < meint Willi grinsend.
> Du willst sie doch heiraten? <
> Schon. Na klar heirate ich die Gute! <
Er kratzt sich erst die Bauch - dann die Beutelgegend.
> Aber doch nicht heut abend!...<
Übrigens hab ich in der folgenden Nacht nichts weiter geträumt -
erstrecht nichts Erleuchtendes, oder Wegweisendes, wie Willi pro-
phezeite. Lediglich abends, jene 'weisse Schäfchen' - die sah ich
noch - schemenhaft - ehe es fast gleichzeitig draußen, wie drin-
nen - also, im eigenen Kopf - dunkelte.
(c) Ralph Bruse